Ist es wieder so weit?

Vorbeugungshaft, Präventivhaft, Sicherungshaft: Ist so ein Wort einmal da, sucht es sich seine Verwirklichung. Zur Klärung der Begriffe.

Wilhelm Engele hat ein Alkoholproblem. Der Mittvierziger trinkt gern ein paar Viertele, wie man in seiner Heimatstadt, Innsbruck, sagt. Einer geregelten Arbeit geht der frühere Angestellte nicht nach. Er lebt vom Erlös kleinerer und größerer Gegenstände, die er stiehlt: Essbesteck im Wirtshaus, herrenlose Herrenwintermäntel, zeitlose Wecker- und Taschenuhren. Bei der Innsbrucker Polizei gilt Engele mit seinen 22 Vorstrafen als amtsbekannt. Von Wilhelm Engele, so sind sich die Behörden einig, gehe eine Gefahr für die Gesellschaft aus. Gestohlen habe er nicht aus Not, gibt er an, sondern aus Unüberlegtheit. Engele straft damit den Strafzweck der „Spezialprävention“ Lügen – das Gefängnis schreckt ihn nicht ab. Diese beharrliche Renitenz führt den Behörden ihre Machtlosigkeit vor Augen. Bis die Nazis kommen.


Eine ihrer ersten Aktionen ermächtigt die personell kaum veränderte Kriminalpolizei, Listen von „gefährlichen Gewohnheits- und Berufsverbrechern“ zu erstellen, um sie nach Dachau zu deportieren. Diese Verbrecher sollten gar kein Delikt begangen haben – das ist wörtlich zu nehmen, denn sonst müsste man sie der Justiz übergeben. Vielmehr brauchten sie nur zweimal zu Freiheitsstrafen von mindestens sechs Monaten verurteilt worden sein. „Vorbeugungshaft“ nennt sich das Konstrukt, das der Kripo erlaubt, Gefahren nach Gutdünken zu erkennen, um vermeintlich das Verbrechen an sich zu verhüten. Wilhelm Engele wird am Abend des 13. Juni 1938 verhaftet, zwei Tage später ist er in Dachau. Von dort wird er im August nach Mauthausen gebracht. Kein halbes Jahr später ist er tot. Er stirbt am 18. Jänner 1939, angeblich an Herz- und Kreislaufschwäche. Mehr als 90.000 Menschen werden ihm dort in den kommenden sieben Jahren in den Tod folgen.

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