Prognosen, wenn Prognosen denn sein müssen: Die Sicherungshaft wird für die Sicherheit eher wenig bringen. Dafür aber wäre ihr Preis ziemlich hoch.
Es gibt einen Punkt, in dem sich alle einig sind: Es ist manchmal unerträglich, warten zu müssen, bis etwas passiert. Allerdings heißt das nicht, dass das Gegenteil erträglich wäre: Zu strafen, bevor etwas passiert.
Der aktuelle Vorschlag des Innenministers für eine Sicherungshaft für Asylwerber wird getragen von den Emotionen, die nach einem Messerangriff wie in Dornbirn bewegen: Wut, Betroffenheit, das ewige „Wie konnte das passieren?“. Doch ob das die Lösung ist? Schwer zu sagen. Denn für eine seriöse Prognose zur Sicherungshaft gibt es schlicht zu wenig Information. Womit auch gleich deren Kernproblem umrissen wäre.
Aber der Innenminister hatte es offenbar eilig. Das neue Rechtsinstrument wurde verkündet, ohne – wie damals bei der Eisenstangenattacke auf dem Brunnenmarkt – umfangreiche Untersuchung des Falls. Ohne evidenzbasierte Analyse der bestehenden Lösungen der Nachbarländer. Und offensichtlich ohne Rücksprache mit Fachleuten. Dabei hätte die Regierung, auch wenn sie ein angespanntes Verhältnis zu „sogenannten Experten“ (© der Vizekanzler) pflegt, dort besser kurz nachgefragt. Denn jene, die mit ihren Prognosen nichts weniger als die faktische Basis für die neue Haftform liefern sollen, sagen bereits jetzt, dass sie das wohl nicht können. Psychiater und Psychologen warnen durch die Bank, dass man zwar messen kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand wieder eine Tat begeht. Aber nicht, ob jemand überhaupt erstmals eine bestimmte Tat begehen wird.
Auch Juristen ist eine Vorabhaft hörbar fremd, und zwar aus bereits viel zitierten und auch historisch fundierten rechtsstaatlichen Grundsätzen. Diese wirft man nicht so nebenbei über Bord.
Zumal die Frage ist: Wofür diese ganze juristische und wissenschaftliche Rebellion? Denn wenn man sich an eine Aussendung des Innenministeriums hält, ist der Anwendungsbereich sehr eng. In Anlehnung an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu einem ähnlichen Fall wie in Dornbirn werden die Kriterien für eine EU-rechtskonforme Haft für Asylwerber aufgelistet: Nur bei erheblicher und gegenwärtiger Gefahr, nur wenn die Haft verhältnismäßig und so kurz wie möglich ist. Wie viele Asylwerber mag es geben, die eine derart große und aktuelle und konkrete Gefahr darstellen, dass sie die nationale Sicherheit bedrohen – aber dennoch nicht unter das Strafrecht fallen?
Insofern hat die SPÖ hier einen Punkt gemacht. Denn obwohl sie – also Teile von ihr – in einem seltsamen Spagat zwischen „Am Sicherheitsthema mitnaschen“ und „Immer darauf hinweisen, dass die FPÖ-Asylpläne potenziell für alle Österreicher gelten können“ unelegant feststeckt, hat man zu Recht darauf hingewiesen, dass es der FPÖ nicht vorrangig um Sicherheit gehen kann. Denn dann wäre es unlogisch, die Haft auf Asylwerber zu beschränken. Nicht umsonst stellen viele Länder mit ähnlichen Konstruktionen auf terroristische „Gefährder“ ab – unabhängig vom Asylstatus. Was nahelegt, dass die Sicherungshaft der FPÖ quasi zufällig in ein anderes, also ihr Asylkonzept passt: Man will, salopp formuliert, jene, die kommen und die man nicht kennt, genauer unter die Lupe nehmen. Sei es durch Hausordnung, sei es halt durch Haft.
Die Konzentration auf Asylwerber hat zudem zwei praktische Nebeneffekte. Der erste: Da die Haft die meisten Menschen nicht betreffen kann, werden sie blind für den Preis des „Mehr“ an Sicherheit. Denn für einen Gefährlichen würden fünf bis sechs Menschen inhaftiert, die kein Risiko darstellen. Das weiß man aus dem psychiatrischen Maßnahmenvollzug. Das ist auch dort traurig, nur trifft es da immerhin Menschen, die schon etwas getan haben.
Der zweite Vorteil der Nur-für-Asylwerber-Haft: Man muss nicht fragen, was passiert, wenn die Sicherungshaft schließlich endet (zur Erinnerung: Sie dauert „so kurz wie möglich“). Denn in Herbert Kickls Kalkulation sind die Asylwerber dann vermutlich nicht mehr da, weil man sie abschieben kann. Außer freilich – man kann es nicht. Was in Dornbirn der Fall gewesen wäre. Zumindest sagt das das BMI.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2019)