Der Dopingskandal bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld schreckt auch die deutsche Sportnation auf. In einem Labor in Erfurt stießen Ermittler auf Dutzende Blutbeutel.
Berlin/Erfurt. Nördlich der pittoresken Altstadt des deutschen Erfurt mit ihren Fachwerkshäusern liegt die gemeinsame Arztpraxis von Mark S. und seiner Mutter. Den wenigen Onlinebewertungen zufolge ist die „öffentliche Anbindung“ der Praxis sehr gut, das „Entertainment“ eher weniger. So weit, so unspektakulär. Doch diese Praxis soll nun das Epizentrum jenes Kriminalfalls sein, der im 400 Kilometer entfernten Seefeld die Nordische Ski-WM mindestens überschattet, wenn nicht ruiniert hat. In Erfurt nahm man Mark S. fest, den 40-jährigen Mediziner, der Kopf eines Dopingnetzwerks sein soll, das an jenes des berüchtigten spanischen Mediziners Eufemiano Fuentes heranreichen könnte.
S. sitzt inzwischen in U-Haft im Münchner Süden, in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Auch sein Vater und weitere mutmaßliche Komplizen sind in Gewahrsam. Nun ist Erfurt keineswegs der einzige deutsche Schauplatz in diesem Kriminalfall. „Die Blutentnahmen und -injektionen fanden in Frankfurt und Berlin statt“, sagte der estnische Skilangläufer Karel Tammjärv am Freitag.
Tammjärv ist einer der in Seefeld aufgeflogenen Sportler. Alle fünf haben inzwischen Eigenblutdoping gestanden. Neun der 16 Hausdurchsuchungen zu dem Fall fanden in Erfurt statt. In der Landeshauptstadt des ostdeutschen Thüringen stießen die Ermittler auf ein „illegales Dopinglabor“ mit „Dopingpräparaten, Bluttransfusionen und einer Zentrifuge“ – und eben Dutzenden kühl gelagerten Blutbeuteln, die nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ mit Tarnnamen versehen waren. Ein DNA-Abgleich könnte nun zu weiteren gedopten Sportlern führen. Die Nachricht schreckt die deutsche Sportnation auf, weil erstens auch Landsleute betroffen sein könnten, wie das ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel behauptet und der Deutsche Olympische Sportbund bisher ausschließt – mit dem Zusatz „Stand heute“. Zweitens könnte sich der Fall auf den Sommersport ausdehnen.
Ein Bericht über Mark S. im „Ärzteblatt“ aus dem Jahr 2014 erhöht die Nervosität, nicht wegen ein paar Zitaten, die sich im Rückblick seltsam lesen: „Gerade als Hausarzt hat man die Möglichkeit, seine Individualität zu entfalten“, erklärte S. etwa. Für Unruhe sorgt dieser Satz: „Wir betreuen hier etwa 50 bis 60 Sportler regelmäßig, vor allem Schwimmer, Radsportler, Fußballer, Handballer und Leichtathleten.“ Denn S. war nicht nur ein mit 250 Euro im Monat geförderter Vorzeigestipendiat der Stiftung zur Förderung ambulanter ärztlicher Versorgung in Thüringen, die den Ärztemangel bekämpfen sollte. Sondern die Praxis war auch eine, gleichfalls steuerfinanzierte, lizenzierte Untersuchungsstelle des Landessportbunds Thüringen (LSB). Die Lizenz wurde immer wieder verlängert, auch nachdem Mark S. von Spitzensportlern wie Bernhard Kohl belastet worden war. „Diesen Umstand haben wir leider nicht berücksichtigt“, erklärte nun der Präsident des LSB Thüringen, Stefan Hügel. „Das hätte nicht passieren dürfen.“ Die Lizenz wurde inzwischen entzogen.
Die ganze Affäre findet Hügel „total bitter“, „einfach unfassbar“. Sie sei eine „Katastrophe für den Thüringer Sport“. Zumal sie den Sportbund dort wieder in den Fokus rückt, der wegen doping- und stasibelasteter Funktionäre immer wieder für Aufsehen sorgt. Geschäftsführer Rolf Beilschmidt zum Beispiel war zu DDR-Zeiten gedopter Spitzenathlet und Stasi-Spitzel.
„Sportbetrugsknotenpunkt“
Der langjährige deutsche Dopingjäger Werner Franke nannte Erfurt gegenüber „Der Welt“ einen der „Knotenpunkte des Sportbetrugs in Deutschland“. „Der Standort ist mir in all den Jahren immer wieder im Zusammenhang mit Doping begegnet – in der DDR und auch danach“, sagte Franke. In Erfurt spielte 2012 auch die Affäre um den Mediziner Andreas F., der Eigenblut von Spitzensportlern mit UV-Licht bestrahlt haben soll. Juristische Folgen hatte der verworrene Fall nicht, auch wenn die Staatsanwaltschaft meinte: „Objektiv halten wir es für Doping.“
Zu den bekanntesten Dopingopfern zu DDR-Zeiten zählt indes Uwe Trömer, der heute Invalide ist und um seine Rente kämpft. Er war bei Turbine Erfurt engagiert. Damals sei auch die Mutter von Mark S. dort Assistenzärztin gewesen, sagte Trömer nun dem „Tagesspiegel“. Beim „Pillenverteilen und Spritzengeben“ habe er sie demnach nicht erlebt. Er meldet Zweifel an, dass sie damals vom Doping gar nichts mitbekommen habe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2019)