Der Minoritenplatz in Ankara

Warum türkische Schulen kein Problem, aber auch keine Lösung für die vorhandenen Probleme sind.

Ein fast nebenbei hingeworfener Satz des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl sorgte vergangene Woche für Aufregung. Häupl erklärte auf einer Pressekonferenz mit dem türkischen Botschafter, dass er sich eine türkische Schule nach dem Vorbild des Lycée Français vorstellen könne, also eine Eliteschule, die von Kindern wohlhabender türkischer Eltern besucht würde, die sich entsprechendes Schulgeld auch leisten könnten. Für die überwiegende Mehrzahl türkischer Kinder hätte diese Schule keinerlei Relevanz, und die Idee ist nicht so neu, dass sie die Aufregung rechtfertigen würde.

Türkisch ist österreichischen Schulen keineswegs fremd. Das Abendgymnasium Henriettenplatz in Wien bietet schon seit 2004 Türkisch als Wahlpflichtfach an. In Wien gab es bis 2005 eine bilinguale türkisch-deutsche Schule. Aber auch islamische Privatschulen verwenden Türkisch teilweise als Unterrichtssprache, und die aus der Türkei stammende Bewegung der Nurculuk um den Prediger Fethullah Gülen hat 2007 in Wien das Phönix-Realgymnasium eröffnet. In vielen Städten Österreichs sind die Nachhilfeinstitute der Gülen-Bewegung die einzigen privaten Lernhilfeinstitute, die sich speziell um lernschwache Schüler aus der Türkei kümmern.

Doppelt schwer

Auch andere Bewegungen des politischen Islam wie Milli Görüş oder die Süleymancılar sind längst im Bereich der Nachhilfe und Bildung tätig. Hätte sich der österreichische Staat rechtzeitig und ausreichend um die Bildung der Kinder und Jugendlichen der zweiten und dritten Generation türkischer Einwanderer gekümmert, wären ideologisch-religiös motivierte Bewegungen auf diesem Feld nicht erfolgreich gewesen.

Tatsächlich hat das österreichische Bildungswesen nie die Muttersprachen der Migranten wertgeschätzt und gefördert. Während die Gesellschaft Italienisch, Spanisch und Französisch zumindest noch als sexy betrachtet, werden Türkisch, Arabisch, Serbokroatisch, Romanes oder Kurdisch bis heute nicht als Chance, sondern als Bedrohung gesehen. Der muttersprachliche Unterricht, der an Schulen angeboten wird, umfasst viel zu wenige Stunden und wird großteils von Lehrern abgehalten, die weder dafür ausgebildet noch in ihre Schulen integriert sind. Dabei hat die Sprachwissenschaft schon vor 30Jahren bewiesen, dass nur die gute Beherrschung der Erstsprache die Basis für den Erwerb einer Zweit- oder Drittsprache darstellt.

Kinder mit Eltern aus der Türkei haben es nicht nur aufgrund des oft niedrigen Bildungsgrades ihrer Eltern doppelt schwer, sondern auch, weil sehr viele von ihnen eigentlich sprachlichen Minderheiten der Türkei angehören, die bereits im Herkunftsland unterdrückt wurden. Viele vermeintliche „Türken“ sprechen eigentlich Kurdisch, Zaza, Lasisch, Tscherkessisch, Aramäisch, Armenisch oder Arabisch. Kurdisch und Zaza wurden in der Türkei über Jahrzehnte verboten und unterdrückt. Wenn wir also über ein mehrsprachiges Bildungswesen nachdenken, dann sollte nicht nur über Türkisch debattiert werden, sondern insbesondere auch über die Minderheitensprachen Kurdisch und Zaza. Obwohl rund ein Drittel der „Türken“ eigentlich diesen Minderheiten angehören, gibt es keinerlei muttersprachlichen Unterricht in diesen Sprachen. Sie zu pflegen, an den Schulen und auch an den Universitäten zu verankern, wäre ein Ziel, das auch für die deutsche Sprachkompetenz der Betroffenen von unschätzbarer Bedeutung wäre. Die türkische Botschaft ist dafür jedoch nicht der richtige Partner, dafür müsste schon Österreich etwas investieren.

Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Vorstandsmitglied der Hilfsorganisation LeEZA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2010)

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