Moleküle aus Rindfleisch und Milch könnten Krebs auslösen

Deutsche Forscher wollen eine neue Gruppe von Krankheitserregern gefunden haben: Demnach könnten BMMF genannte Moleküle aus Rindfleisch und Milch Krebs auslösen.

Infektionskrankheiten waren den Menschen früher ein großes Rätsel: Für ihren Ausbruch machte man alle möglichen Dinge verantwortlich – von schlechten Ausdünstungen der Erde über ein Missverhältnis ominöser Körpersäfte bis hin zum Eingreifen göttlicher Mächte. Dass dahinter biologische Wesen stehen könnten, lag lange Zeit außerhalb der Denkmöglichkeiten. Zwar beobachtete schon 1676 Antoni van Leeuwenhoek mithilfe eines selbst gebauten Mikroskops Bakterien, aber erst 1882 bewies Robert Koch (bei Tuberkulose), dass diese Lebewesen für Infektionen verantwortlich sein können. Ein Jahr später fand Adolf Mayer Hinweise auf einen völlig anderen Erregertyp: Viren – also Partikel, die aus Erbinformation (DNA oder RNA) und Proteinen bestehen. Bis zum endgültigen Beweis dieser Vermutung sollte ein weiteres halbes Jahrhundert vergehen.

Zusammen mit der Erkenntnis, dass auch andere Einzeller ansteckende Krankheiten auslösen können (etwa der Malaria-Erreger Plasmodium), dachte man schließlich, die Ursache aller Infektionskrankheiten gefunden zu haben.

Diese Gewissheit wurde jäh zerstört, als um 1990 beim Rinderwahn BSE klar wurde, dass auch Proteine (Prionen) infektiös sein können. Damit war eine neue Klasse von Krankheitserregern geboren. Und vor einigen Jahren schreckte der Nobelpreisträger Harald zur Hausen die Öffentlichkeit mit der These auf, dass Rindfleisch und Milch ringförmige DNA-Moleküle enthalten, die beim Menschen Dickdarm- und Brustkrebs, vielleicht auch Multiple Sklerose auslösen könnten. Er nannte die hypothetischen Erreger BMMF (Bovine Milk and Meat Factors) – allgemeiner: Plasmidome.

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Hinweise für mögliche frühkindliche Infektionen mit BMMF gefunden. Diese Woche veröffentlichten die Forscher weitere Indizien – etwa, dass BMMF sich in menschlichen Zellen vermehren und dort chronische Entzündungen verursachen, die indirekt zur Krebsentstehung beitragen (International Journal of Cancer, 144, 1574). Damit wird es immer wahrscheinlicher, dass es tatsächlich einen weiteren, bisher unbekannten Erregertyp geben könnte.

Allerdings: Bewiesen ist das noch nicht. Bis zur Bestätigung – oder zur Widerlegung – dieser These wird noch jahrelange Forschung nötig sein.

Diese Geschichte ruft jedenfalls ein wichtiges Faktum in Erinnerung: Wissenschaft ist ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist. Wir sollten uns daher nicht einbilden, schon alles zu wissen.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum-Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2019)

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