Neues Album von Little Simz: Leben zwischen Schwarz und Weiß

 Simbiatu Ajikawo, vulgo Little Simz
Simbiatu Ajikawo, vulgo Little SimzTam Cader / TAMIYM
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Die britische Rapperin begibt sich auf „Grey Area“ auf Identitätssuche – und erklärt, warum es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Ein Rap-Album des Jahres.

Gleich zu Beginn ihres neuen Albums „Grey Area“ geht Simbiatu Ajikawo, vulgo Little Simz auf Konfrontation: „I don't care who I offend“, schreit die Rapperin und Musikerin aus London im Eröffnungsstück „Offence“ über gefährlich verzerrtem Bass. Fürs zweite, besonders raue Stück, „Boss“, greift sie zum Megafon. Zu minimalen Funk brüllt sie: „I'm a boss in a fucking dress.“ Eine Warnung an alle, die sich ihr in den Weg stellen oder sie zum Verstummen bringen wollen. Die beiden Songs zeigen sie von ihrer kämpferischen, selbstbewussten Seite, gipfelnd in lustvollem Prahlen: „I'm Jay-Z on a bad day, Shakespeare on my worst days.“ Demgegenüber stehen Stücke, die ihre Wunden offenlegen. Etwa das sentimentale „Sherbert Sunset“ über eine schmerzhafte Trennung. Little Simz beginnt es mit einigem „La-la-la-la“ und einer nüchternen Zeile, in der der Albumtitel steckt: „That little grey area.“

Das Leben im Alter von 20 bis 30 Jahren ist für Little Simz, selbst 25, eine solche Grauzone. „Grey Area“ handle davon, sagt sie, dass es kein Schwarz und Weiß gebe, nichts in Stein gemeißelt, alles komplex sei. So wie die Emotionen in den zehn Stücken ihres dritten Albums. Es dokumentiert Selbstfindung und Suche nach Identität: „Shit really got me down / But I'm gonna succeed in life“, rappt Little Simz in „Pressure“, einem stellenweise wütenden Song über die Diskriminierungen, die sie als Tochter nigerianischer Einwanderer erfahren musste. „Take a walk in my shoes or any other young black person in this age / All we ever know is pain / All we ever know is rage“, rappt sie zu betrübten Pianoklängen, bevor ein zart flirrender Synthesizer übernimmt und der Beat einsetzt.

Musikalisch besticht ein überwiegend warmer, organischer Sound, wie er im aktuellen Hip-Hop selten ist. Live eingespielte Beats, funky Bässe, Spuren von Vintage-Soul, jazzige Bläser und Gitarrenlicks bilden die Basis für ihre wortgewaltigen Raps. Und bieten Raum für interessante Abzweigungen. Etwa das ein wenig fernöstlich tönende Zusammenspiel einer simplen Computerspiel-Melodie und wie aus der Ferne herüberwehenden Flöten in „101 FM“, einem nostalgischen Blick auf ihre ersten musikalischen Gehversuche und auf „times I would get home late to my mumzie's crib“.

„I'm Jay-Z on a bad day, Shakespeare on my worst day“: Simbiatu Ajikawo, vulgo Little Simz, geboren 1994 in Islington, London, kann in ihren Raps ziemlich selbstbewusst klingen. Andere Stücke zeigen sie aber am Boden.
„I'm Jay-Z on a bad day, Shakespeare on my worst day“: Simbiatu Ajikawo, vulgo Little Simz, geboren 1994 in Islington, London, kann in ihren Raps ziemlich selbstbewusst klingen. Andere Stücke zeigen sie aber am Boden.Tam Cader / TAMIYM

„They don't like pussy in power“

Im fesselnden „Venom“ thematisiert sie Sexismus: „They would never wanna admit I'm the best here / For the mere fact that I've got ovaries“, rappt sie über nervenaufreibende Horrorfilm-Streicher. Frauen erhielten von Männern keine Anerkennung, „because they don't like pussy in power“, fährt sie fort. Erst dann, im Moment höchster Spannung, setzt der dumpfe, schleppende Beat ein. Er verstärkt die hörbare Resignation in ihrer Stimme, diesen Kampf immer noch führen zu müssen. Das Ringen mit ihren eigenen Unsicherheiten und Dämonen behandelt „Therapy“. Einen Streit mit ihrem Freund am Telefon ertränkt sie erst an der Bar, fragt sich später, ob sie Hilfe bei einem Therapeuten suchen soll, nur um die Idee sofort zu verwerfen. Stattdessen hat sie alle ihre bisweilen widersprüchlichen Emotionen in „Grey Area“ gesteckt: introspektiv und widerborstig, verletzlich und fordernd. Ein vielschichtiges Rap-Album des Jahres.

Little Simz: „Grey Area“
Little Simz: „Grey Area“(c) Age 101

Livetipp: Little Simz gastiert am 11.10.2019 live im Wiener WUK

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2019)

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