Trauer in Polen: "Wir müssen jetzt zusammenstehen"

Trauer Polen muessen jetzt
Trauer Polen muessen jetzt(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Hunderttausende Polen gedachten in Warschau der Staatsspitze, die beim Absturz der Präsidentenmaschine ums Leben kam. Das Land hat sich in den vergangenen Tagen nicht von seinem Schock erholt.

Alle sind sie gekommen: greise Widerstandskämpfer aus Warschau, Kohlekumpel aus dem Revier in Niederschlesien, Solidarność-Anhänger aus Krakau, Werftarbeiter aus Danzig. Im Morgengrauen haben sie sich gestern auf den langen Weg gemacht, und alle hatten sie ein Ziel: Warschau.

Dort fand auf dem Pilsudski-Platz die Gedenkveranstaltung für Präsident Lech Kaczyński und die 95 weiteren Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk statt. „Wir müssen zeigen, dass wir jetzt zusammenstehen“, erklärt Kamil Pawlik und vollführt mit seinen Armen eine Bewegung, als wolle er die halbe Million Menschen umarmen, die sich gegen Mittag auf dem von der Sonne beschienenen Platz versammelt hat.

Der massige Bergmann aus Kattowitz hat sein ganzes Leben lang hart gearbeitet, ist gegen das kommunistische Regime auf die Straße gegangen und hat manch andere Krise gemeistert, doch nun steht er an der Absperrung vor den Bildern der 96 Toten und kann seine Tränen nur mit Mühe zurückhalten. „Ich war vor fünf Jahren hier auf dem Platz, als die Trauerfeier für Johannes Paul II. war “, sagt Pawlik, das sei aber nicht so schlimm wie jetzt gewesen. „Wir konnten uns über Wochen auf den Tod unseren Papstes vorbereiten, aber diese Tragödie hat uns wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen.“

Die Liste der Opfer symbolisiere die ganze Nation, wird der sichtlich bewegte polnische Premier Donald Tusk einige Minuten später in seiner Trauerrede sagen. „Vom 91 Jahre alten Ryszard Kaczorowski bis zur 23 Jahre alten Natalia Januszko.“ Der greise Präsident habe den Zweiten Weltkrieg miterlebt, den Stalinismus, das kommunistische Regime in Polen, erinnert Tusk. Die junge Stewardess hingegen sei in einem unabhängigen Polen aufgewachsen und konnte die Freiheit in vollen Zügen genießen. „Es übersteigt noch immer unsere Möglichkeiten, das Ausmaß dieser Tragödie zu begreifen, der größten in der Geschichte Nachkriegspolens“, sagte der Premier.


Glocken zur Todesstunde. Punkt 8.56 Uhr war der gestrige Tag in ganz Polen mit Alarmsirenen und Glockenläuten begonnen worden. Die Menschen hielten zwei Minuten lang inne, Autos blieben auf der Straße stehen. Das Land gedachte der Opfer, die zu exakt jener Uhrzeit vor sieben Tagen beim missglückten Landeanflug auf den Flughafen von Smolensk den Tod fanden. Die Präsidentenmaschine war auf dem Weg zur Gedenkfeier für die Opfer des Massakers von Katyn vor 70 Jahren gewesen.


Land in Schockstarre. Das Land hat sich in den vergangenen Tagen nicht von seinem Schock erholt. Fast jeden Tag wurden Särge mit den Opfern mit großem Geleit durch Warschau transportiert. Quälend langsam nur können die 96 Opfer des Absturzes von Smolensk identifiziert und in ihre Heimat überführt werden. Die Särge von Lech Kaczyński und seiner Frau Maria wurden im Präsidentenpalast aufgebahrt, wo sich Tag und Nacht eine mehrere hundert Meter lange Schlage bildete. Noch Samstagmorgen wollten Tausende persönlich von dem Präsidentenpaar Abschied nehmen.

Eigentlich war geplant, dass Kardinaldekan Angelo Sodano am Samstag die Trauermesse für die Opfer des Absturzes lesen würde. Doch wegen des Flugchaos über Europa konnte er nicht aus Rom nach Warschau fliegen. Ähnliche Probleme könnte es heute bei der Beisetzung des Präsidentenpaares in der Krakauer Burg Wawel geben. Noch ist ungewiss, wie viele der angekündigten mehr als 80 Staats- und Regierungschefs den Weg nach Polen schaffen werden.

„Wichtig ist, dass sie gezeigt haben, dass sie mit uns Polen trauern“, sagt Kamil Pawlik. Auch wenn die Mächtigen dieser Welt fehlen werden, der Bergmann aus Kattowitz wird auf jeden Fall dort sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2010)

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