Architektin Karin Stieldorf über nachhaltiges Planen und Bauen zwischen Wien und Bhutan

(c) Stanislav Kogiku
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Die TU-Expertin Stieldorf spricht über Tools im Werkzeugkasten von Planern und Architekten.

Der Begriff der Nachhaltigkeit ist seit Jahren in aller Munde. Zu hören und lesen ist vor allem vom effizienten Einsatz von (erneuerbarer) Energie. Ich vermute, das ist um einiges zu kurz gegriffen.

Das ist es in der Tat. Energieeffizienz, Langlebigkeit der Materialien oder der schonende Umgang mit knappen Ressourcen sind natürlich Teil der Definition. Aber es geht bei nachhaltigem Bauen und Planen um so vieles mehr, etwa um leistbares Wohnen, um eine Architektur, die kulturelle, historische und soziologische Aspekte des Wohnumfelds schon in der Planung berücksichtigt, die Simulation und Planungsbegleitung verbindet – und schlussendlich um Häuser, in denen man sich als Nutzer wohl fühlt. Um Nachhaltigkeit zu erzielen, muss vieles zusammenpassen. Es gibt kein für alle und alles gültiges Rezept, das zur Anwendung kommt. Es ist keine schwarz-weiß Entscheidung zwischen Massiv- oder Leichtbau, High- oder Lowtech, sondern eine sinnvolle Verknüpfung und das Ausloten der Möglichkeiten, die passend sind und zur Verfügung stehen. Was an einem Ort oder in einem Klimaraum stimmig nachhaltig ist, muss dies nicht zwangsläufig an einem anderen sein.

Können Sie das für uns mit einem Beispiel illustrieren?

Mitte Jänner war an der TU Wien eine Delegation aus Bhutan auf Arbeitsbesuch. Wir haben mit Vertretern des Bauministeriums, Architekten, Bauingenieuren und Elektrotechnikern über das „richtige“ Entwerfen & Bauen vor Ort diskutiert. Um das für die Hauptstadt Thimphu, die auf 2300 Meter Höhe liegt, zu beantworten, braucht es eine intensive Planungsbegleitung. Das Einholen von Klimadaten und Simulationen sind unerlässlich, Stichwort klimasensitiver Entwurf. Zu berücksichtigen ist ebenso der Umstand, dass es dort nicht den gleichen technischen Standard wie hierzulande gibt. Bhutanern eine Passivhaustechnologie im Sinne der Nachhaltigkeit zu verordnen, wäre der falsche Weg und sogar verantwortungslos. Es fehlt die Infrastruktur, am Beispiel von Personen, die Maschinen warten können. Passend sind hier Lowtech-Lösungen.

Es gibt also viele Wege zur Nachhaltigkeit?

Ja, und der Weg ist eine große Spurensuche. Man muss sich für viele Aspekte interessieren, um eine adäquate Lösung zu finden. Was ist für den Ort wichtig? Wie sieht es mit der Bauhistorie aus, wie mit der sozialen Identität? Wie sollen Bauten und Anlagen in die Landschaft eingebunden und an eine Ortschaft angebunden sein? Wie wollen die Menschen wohnen? Wie werden neue Nachbarschaften gebildet? Sich diese und andere Fragen zu stellen, ist ein wesentlicher Bestandteil einer integralen Planung. Wer nur in Quadratmeter Bebauungsfläche denkt, denkt wie gesagt zu kurz. Da hilft es dann auch nur bedingt, wenn das Gebäude selbst energieeffizient funktionieren könnte.

Das klingt nach einem gesellschaftspolitischen Auftrag für Architekten.

Das wäre wünschenswert, wenn gesellschaftspolitische Tools im Werkzeugkasten von Planern und Architekten zu finden sind. An der TU haben wir zum Beispiel Projekte, bei denen es um die zuvor angesprochene Bildung von neuen Nachbarschaften geht, konkret auch um Bauen für Migranten und Flüchtlinge. Wir haben in Umfragen festgestellt, dass die grundsätzlichen Wohnbedürfnisse der Menschen sehr ähnlich und relativ unabhängig von ihrer Herkunft sind. Gewünscht werden Räume in Wohnhausanlagen, die für gemeinsame Aktivitäten genutzt werden können, etwa um zu essen, zu kochen, die Freizeit zu verbringen oder Kinder zu betreuen. Auf diese Weise lässt sich konkrete Integrationsarbeit leisten, auf Lebenszeit. Die Menschen wollen das und wir Architekten schaffen dafür die Räume – Nachhaltigkeit im sozialen Sinn. Es ist überhaupt so, dass es in der Verantwortung von Architekten liegen sollte, die Wünsche der Bewohner ernst zu nehmen, am besten in frühesten Planungs- und Baustadien. An der TU gibt es etwa ein Holzbausystem-Forschungsprojekt mit dem Ziel, Leute ohne Bauerfahrung künftig in Planung und Bau zu integrieren und an diesen Prozessen mitwirken zu lassen. Wir spielen das mit unseren Studenten in fiktiven Baugruppen durch.

Ein kurzer Schwenk zum Materialbereich. In Fachkreisen ist in den letzten Jahren viel von Lehm zu hören. Kommt es im Zuge der ökologischen Nachhaltigkeit zur Renaissance eines Uraltbaustoffs?

Das Interesse an Lehm als Baumaterial steigt tatsächlich stark an. Lehm sorgt für eine sehr gleichmäßige Luftfeuchtigkeit und hat den großen Vorteil, leicht verfügbar zu sein und in der Herstellung kaum Energie zu benötigen. Mit der richtigen Technik kann man aus Lehm Bauwerke mit guten Dämmeigenschaften und hervorragendem Raumklima schaffen. Wir haben deshalb an der TU Wien im November 2017 das Netzwerk Lehm gegründet, das seit Juni 2018 als Verein geführt wird.

»Damit etwas nachhaltig ist, muss vieles zusammen-passen. «

Global ist es ohnehin ein großes Thema, wenn man bedenkt, dass rund 60 Prozent der Gebäude weltweit aus Lehm gebaut sind. Es wird aber auch zunehmend für den Wohnbau in Österreich interessant, sofern man weiß, wie der Baustoff sinnvoll einzusetzen ist. Ein reiner Lehmbau ist zum Beispiel in unseren klimatischen Gefilden mangels ausreichender Wärmedämmung in der kalten Jahreszeit nicht zu empfehlen. In Kombination mit anderen Baustoffen wie etwa Stroh ergibt es hingegen Sinn. Als passend erweisen sich in Mitteleuropa Holzrahmenkonstruktionen, die mit lehmverkleideten Strohballen gedämmt werden. Dieses Konzept lässt sich auch auf mehrgeschoßige Bauten anwenden.

Es gilt also auch beim Material, dass man in Sachen Nachhaltigkeit nichts über einen Kamm scheren kann?

Ein differenzierter Blick ist immer notwendig. Man kann nicht nachhaltig planen und bauen, ohne die Gegebenheiten und Möglichkeiten in einer Region zu berücksichtigen. Es gilt, technische Lösungen zu finden, die das Beste aus vorhandenen Ressourcen herausholen und die an Klima und Gesellschaft angepasst sind. Beton, Stahl oder Glas können ideal für Europa und völlig ungeeignet für eine andere Weltregion sein. Das haben wir auch gerade in der Diskussion mit der Delegation aus Bhutan thematisiert. Die dortigen Fachleute überlegen, Lehm durch Porenbetonsteine aus China zu ersetzen. Porenbeton bringt jedoch nicht die notwendige Masse mit sich und für die Häuser in Bhutan müsste somit im Sommer zusätzliche Kühlenergie aufgewendet werden. Die hoch gelobte Energieeffizienz von Porenbeton ist also relativ. Nur ein Beispiel unter vielen.

Zur Person:

Karin Stieldorf forscht und lehrt am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien. Ihre Forschungsprojekte und Publikationen konzentrieren sich auf ganzheitliche Entwurfs-
methoden in der Architektur, basierend auf Bauphysik, Gebäudeökologie und Gebäudesimulationssystemen als Unterstützung für die Entwurfsentscheidungen. Die mehrfach ausgezeichnete Fachfrau für Nachhaltigkeit (unter anderem das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich, Staatspreis für nachhaltige Architektur) leitet den TU-Universitätslehrgang Nachhaltiges Bauen (Masterprogramm & Zertifikatslehrgang).

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