Endlich eine linke Kulturpolitik: Kollektiv leitet die Kunsthalle Wien

Das Frauen-Kollektiv WHW mit Ivet Curlin, Sabina Sabolovic und Natasa Ilic übernimmt ab Juni 2019 die Leitung der Kunsthalle Wien.
Das Frauen-Kollektiv WHW mit Ivet Curlin, Sabina Sabolovic und Natasa Ilic übernimmt ab Juni 2019 die Leitung der Kunsthalle Wien.APA/HANS KLAUS TECHT
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SP-Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hat ihre bisher programmatischste Entscheidung verkündet: eine linke Kampfansage, die den Zeitgeist aufnimmt.

Kurz hatte man schon die Furcht, dass es zu einem Gender-Rückschlag in der österreichischen Kulturszene kommen könnte, die jetzt seit Jahren quotenmäßig vorbildlich gewesen ist. Das Land muss man erst finden, in dem so viele staatliche Museen von Frauen geleitet werden, vom Kunsthistorischen Museum über das Belvedere und das Mumok bis zur Nationalbibliothek und dem Technischen Museum. Das KHM kommt demnächst allerdings in Männerhand (das Burgtheater ebenso), das Technische Museum und das Mumok harren der Ausschreibung, man wird also kritisch beobachten müssen, was weiter geschieht.

Die Stadt Wien hinkte dem Bund bisher hinterher. Was sich langsam ändert, etwa mit Eva Sangiorgi als Leiterin des Filmfestivals Viennale, bestellt noch unter SP-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny. Seiner Nachfolgerin, Veronica Kaup-Hasler, gelang am Mittwoch mit der Bestellung des Zagreber Kuratorinnen-Kollektiv „What, How & for Whom“ als neue Führung der Kunsthalle Wien ab Juni jedoch ein Knalleffekt. Sie traf damit eine mutige Richtungsentscheidung. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Erstens haben Kollektive keinen guten Ruf, man merkt sofort den (nicht nur männlichen) Misstrauensreflex auf Twitter – wer ist denn dann schuld, wenn es schiefgeht? Eine anachronistische Frage, die im Alltag längst kein Thema mehr ist, werden Führungspositionen doch immer öfter aufgeteilt oder in Gremien organisiert. Auch deswegen, weil immer mehr Frauen für Spitzenpositionen am besten geeignet sind – aber keine Lust haben, im Büro zu leben. Dafür teilen sie Macht (sowie Geld, Ehre und, klar, auch den Schaden) mit anderen. Was sind diese Teams denn anderes als neoliberale Kollektive?

Nicht Alltag, sondern bewusste politische Provokation ist allerdings das Revival des Kollektivs in der seit der Moderne traditionell linken zeitgenössischen Kunstszene. Zuletzt sah man das bei der Besetzung der so mächtigen Funktion des Documenta-Chefs mit dem zehnköpfigen indonesischen Kollektiv Ruangrupa. Man kann es als eine Geste der Auflehnung gegen Autoritäten interpretieren, vielleicht sogar gegen den Genius; das Kollektiv ist die Antwort auf das Schreckgespenst nationaler Führer. Wobei es diese Kollektive in der Kunst – WHW und Ruangrupa beide seit 2000 – natürlich schon länger gibt. Aber dass sie auch gehäuft in Machtpositionen kommen, ist neu.

Bereits das „Kino unter Sternen“, das heuer als „Kaleidoskop“ wieder aufersteht, hat Veronica Kaup-Hasler mit einem Frauenkollektiv besetzt. Folgt jetzt noch ein Kollektiv „fröhlicher Kulturarbeiterinnen“, wie die Stadträtin die WHW-Mitglieder bezeichnete, an der Spitze des Volkstheaters, ist das eine linke kulturpolitische Kampfansage. In dieser Direktheit wäre sie nur zu begrüßen. Auch von konservativer Seite. Alles ist besser in der Kunst als Wischiwaschi.

Als Kampfansage ist auch der zweite Punkt zu verstehen, der Kaup-Haslers Kunsthallen-Entscheidung so spannend macht. Das WHW-Kollektiv bekannte sich voll zur Mission, die Kaup-Hasler schon bei der Neubesetzung der Wiener Festwochen bekräftigt hat: Das städtische Kulturangebot solle nicht auf Eliten und ein Fachpublikum ausgerichtet sein, sondern sich an alle richten. Klingt wie eine Phrase, die man genauso oft schon gehört hat, wie sie gescheitert ist. Und zwar weltweit. Die Tate Modern in London arbeitet noch am härtesten daran. Das Folkwang-Museum in Essen aber ist nur ein Beispiel dafür, wo etwa die Einführung eines generellen freien Eintritts eben nicht zur erhofften sozialen Durchmischung geführt hat.

Natürlich ist es naiv, wenn Kaup-Hasler genau diese Breitenwirkung jetzt wieder propagiert. Aber wenn es schon eine Rechtfertigung für die hohen Kultursubventionen gibt, dann ist es die, das Potenzial der Gegenwartskunst – diese herrliche Verunsicherung der eingeübten Anschauungen – auch den Leuten nutzbar zu machen, die bisher nicht im Traum daran dachten. Dieses Ziel muss mit unkonventionellen Mitteln verfolgt werden. Warum nicht mit Kollektiven? Die haben mehr Nerven. Und hoffentlich auch mehr Ideen.

E-Mails an:almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2019)

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