Europas Problem ist die exzessive Ungleichheit

(c) Peter Kufner
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Emmanuel Macron hat interessante Lösungsansätze für die Zukunft Europas. Doch er verkennt die Ursache vieler Probleme.

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In schweren Krisen kippen echte Liberale nach links, während falsche Liberale nach rechts abdriften. So gesehen erweist sich Frankreichs Präsident Macron in seiner viel beachteten Rede, die vergangene Woche in zahlreichen europäischen Zeitungen und in Österreich in der „Presse“ abgedruckt wurde (Ausgabe vom Dienstag, den 5. März, Anm.), als echter Liberaler. Findet er doch weitgehend sozialdemokratische Lösungen für die großen Probleme Europas. Hier sehe ich ihn als Partner in Europa. Allerdings nur teilweise, denn er verkennt, weshalb Europa überhaupt in die Krise stürzte.

Macron beschreibt, dass die Zukunft der EU so gefährdet sei wie nie – er verkennt aber die dahinterliegenden Ursachen. Die Bevölkerung ist unzufrieden mit dem Kurs, den Europa eingeschlagen hat. So sehr, dass sie in Großbritannien mehrheitlich für den Brexit stimmte, und so sehr, dass Frankreich durch die Gelbwesten mit den größten sozialen Unruhen der vergangenen Jahrzehnte konfrontiert ist.

Auch Macron möchte diese Probleme beheben. Er wählt dafür den Weg von sozialen Almosen. Als Pragmatiker der Macht verspricht er der Bevölkerung, die wütend an die Tore des Élysée-Palasts hämmert, Geschenke. Die Ursachen für ihre Wut versteht er aber nicht. Er unterlässt es, zu benennen, wer uns in die – wie er schreibt – „Falle“ gelockt hat, in der sich Europa nun befindet.

Verfehlte Politik der EU

Die Europäische Union und viele Mitgliedstaaten haben in den vergangenen Jahrzehnten eine verfehlte Politik betrieben. Vom Norden Englands über die französische Provinz bis nach Italien ziehen sich durch ganz Europa die Regionen, in denen die Menschen erleben, wie sie immer stärker abgehängt werden. Wie sich in den Glaspalästen der Konzerne der Reichtum in immer schwindelerregendere Höhen steigert, während bei ihnen ums Eck Schulen schließen, Busverbindungen eingestellt werden und Arbeitsplätze abgebaut werden.

Aus diesem erlebten Niedergang speist sich eine Wut, die Europa zu verschlingen droht. Im Batman-Film „The Dark Knight Rises“ wird Batmans Alter Ego, Bruce Wayne, mit einer so simplen wie treffenden Erkenntnis konfrontiert. „Ein Sturm zieht auf, und wenn er eintrifft, werden wir uns alle wundern, wie wir so lang glauben konnten, auf so großem Fuß zu leben, während wir so wenig für alle anderen übrig ließen.“

Es ist derselbe Sturm, der nun Europa trifft. Ein Sturm, der eine Mittelschicht, die immer stärker unter Druck gerät, in die Arme der Rechtsnationalisten treibt. Rechtsnationalisten, die sich momentan als Wölfe im Schafspelz tarnen, die aber konsequent auf die Zerstörung Europas hinarbeiten. Diese Rechtsnationalisten würden Europa in die Katastrophe führen. Doch die Wut, die ihren Aufstieg ermöglicht, ist verständlich. Es wird nicht reichen, an dieser oder jener Stellschraube zu drehen, hier ein kleines Sozialprogramm oder dort eine Klimabank zu erfinden.

Wer Europa retten will, muss es grundlegend verändern!

Es sind die Konservativen und Liberalen, die mit ihrer Politik der Umverteilung von unten nach oben die entfesselten Märkte und den exzessiven Reichtum geschaffen haben, der Europa aus der Bahn wirft. Ein Irrweg, der das gemeinsame Europa zu zerstören droht, von dem wir alle hoffen, dass es für die Ewigkeit besteht. Macron gibt hierfür allein den Nationalisten Schuld. Es stimmt, die Blender, Rassisten und Nationalisten nutzen die Verunsicherung aus. Die Frage, warum dieser Nationalismus in weiten Teilen Europas auf offene Ohren stößt, stellt sich Macron aber gar nicht erst.

Europa droht zu zerfallen, weil die Lebenschancen auf unserem Kontinent so ungleich geworden sind, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt daran zu zerbrechen droht. Nicht zuletzt deshalb, weil jahrzehntelang die Konservativen und Liberalen die sozialen Netze und den Wohlfahrtsstaat schrittweise beschnitten haben. Und im selben Atemzug Dienstleistungen privatisierten und soziale Infrastrukturen zerschlugen.

Konzerne ignorieren Regeln

Jeden Tag lesen wir, wie Konzerne alle Regeln ignorieren. Wie sie keine Steuern zahlen, wie sie mit Pestiziden die Umwelt zerstören, wie sie mehr und mehr Macht erwerben und mit ihrer Heerschar an Lobbyisten den Politikern in Europa die Türen einrennen. Die Europäer lesen das und sehen zugleich, wie für ihre Bedürfnisse immer weniger Geld bleibt.

Wie man von ihnen erwartet, dass sie mehr und mehr leisten und mit ihrem Gehalt trotzdem immer schlechter über die Runden kommen. Was sollte sie noch binden an eine Gemeinschaft, die all das hinnimmt oder sogar befördert?

Das dürfen wir nicht hinnehmen. Denn Europa zu retten ist die wichtigste Aufgabe unserer Generation. Die EU ist zwar alles andere als perfekt, aber trotzdem ist die Gemeinschaft die größte zivilisatorische Leistung der Menschheitsgeschichte. Mit der europäischen Einigung ist es gelungen, der Erkenntnis zum Durchbruch zu verhelfen, dass nach Jahrhunderten des Krieges eine bessere Zukunft nur gemeinsam erreichbar ist. Doch Europa für die Zukunft zu erhalten gelingt nur, wenn man die Europäer dafür begeistert. Die Liberalen und Konservativen schaffen das nicht. Es sind brave europäische Biedermänner- und frauen, die glauben, man könnte so weitermachen wie bisher, während die Brandstifter in ganz Europa schon Feuer ans europäische Projekt legen.

Mensch statt Konzern

Wer will, dass Europa sich nicht verändert, nimmt womöglich seinen Untergang in Kauf. Was wir stattdessen brauchen, ist ein Kurswechsel. Das bedeutet, dass wir nicht mehr zulassen können, dass die größten Konzerne der Welt den Wohlstand durch Steuerhinterziehung rauben. Wir dürfen nicht mehr zulassen, dass dieselben Konzerne die sozialen Standards untergraben und Schritt für Schritt abschaffen. Zudem müssen wir sicherstellen, dass Konzerne nicht mehr die Umwelt verpesten und mit Glyphosat und anderen Pestiziden Gift in unser Essen bringen.

Tatsache ist, das Europa der Konzerne ist längst abgewählt. Von Portugal bis Estland haben die Menschen genug davon, dass sich die Reichsten der Reichen in Europa ihre Gesetze selbst schreiben. Die Wirtschaft hat in Europa nämlich den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Das war und ist das große Glücksversprechen des europäischen Wohlfahrtsstaats. Ihn gilt es wiederherzustellen. Nur mit einer solchen Wende kommen wir wieder auf den richtigen Weg. Hin zu einem Europa, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht die Konzerne. Ein Europa, für das es sich zu kämpfen lohnt, und für das sich die Menschen wieder begeistern.

ZUM AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com
Andreas Schieder
(*16. April 1969) ist SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Spitzenkandidat der SPÖ für die Europawahl in Österreich 2019. Von 2008 bis 2013 war er Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, von 2013 bis 2017 SPÖ-Klubobmann im österreichischen Nationalrat, ab November 2017 geschäftsführender Klubobmann. Er ist Vater eines Sohnes. [ Sebastian Philipp]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2019)

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