Wenn Wut und Zorn auf "die da oben" eine neue Qualität erreichen

In der westlichen Welt schlägt der Protest Unzufriedener immer öfter in Antisemitismus und Vandalismus um.

Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt. Das Gespenst der Wut und des Hasses. In den USA, Frankreich oder auch in Ungarn spukt es ganz besonders, aber kein Land scheint vor seinen perfiden Attacken gefeit. Wobei – Wut und Zorn auf „die da oben“ hat es in der Geschichte immer schon gegeben. Nur scheint dieses Phänomen gegenwärtig eine neue „Qualität“ zu erreichen, scheint umzuschlagen in blanken, blindwütigen, zerstörerischen Hass.

Die Gelbwestenbewegung in Frankreich ist ein Paradebeispiel für das Phänomen. Nicht, dass es kein Verständnis für die Grundanliegen der Bewegung gäbe – den Kampf gegen Ungerechtigkeit, Ungleichheit, gegen die Arroganz der Regierenden. Aber extreme Linke und extreme Rechte reiten inzwischen gekonnt auf der Welle dieser Protestbewegung – umso mehr zeigt der latente Antisemitismus seine Fratze, umso mehr breitet sich der Vandalismus aus.

Der Londoner „Economist“ zitiert einen Historiker der Universität von Orleans, den die giftige Mixtur aus Antiparlamentarismus und Antisemitismus, die Frankreich infiziert hat, an die 1930er-Jahre erinnert. Der Hamburger „Spiegel“ sieht den Antisemitismus als „Schaumkrone auf einer breiten, fast allumfassenden Welle des Hasses und der Gewalt, die Frankreich zu überspülen droht“. Und: „Es scheint kein Halten mehr zu geben. Jeder darf sein, wie er will: rassistisch, antisemitisch, misogyn.“ Der „Economist“ schreibt, dass sich die Gelbwesten gegen alle richten, die richtiger- oder falscherweise als Teil der Elite angesehen würden – „oder, genauer: als Teil einer illegitimen, unwürdigen Elite, die die Menschen betrügt“.

Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ wiederum meint, dass sich die „neue Wut“ in erster Linie gegen den Kapitalismus und dessen Auswirkungen richte. Demnach wären die – linken – Anliegen Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität die Antriebskräfte der momentanen Wutwelle. Tatsächlich klafft ja überall in der westlichen Welt die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander: In den USA kontrolliert das reichste Prozent der Haushalte fast 39 Prozent des gesamten Volksvermögens, die unteren 90Prozent der Bevölkerung besitzen gerade noch knapp 23 Prozent. Trotzdem, kann solche Ungleichheit die Wut der Unzufriedenen erklären, die heute nur zu leicht in Gewalt umzuschlagen droht?

Auch das US-Monatsmagazin „Atlantic“ fragt in einem langen Essay: „Warum sind wir so wütend?“ und erklärt, dass Amerika als Land, das in einer Revolution geboren wurde, schon immer zornig gewesen sei. Und Donald Trump sei ein Politiker, der verstanden habe, dass diese Wut zu den Vereinigten Staaten gehöre. Jedoch, heißt es da: „Der Tenor unserer Wut hat sich gewandelt. Die Wut ist weniger episodisch, sie ist hartnäckiger, ein ständiger Trommelschlag in unserem Alltag. Sie richtet sich heute weniger gegen Menschen, die wir kennen, und viel öfter gegen distanzierte Gruppen, die sich leicht dämonisieren lassen.“

Aber ohne Katharsis werde sich die Wut in den Bürgern weiter auftürmen. Ein ungewollter Druck baue sich so auf, der düstere Folgen haben könnte: Dann gebe es nicht nur das verständliche Verlangen, gehört zu werden, sondern man wolle allen wehtun, von denen man glaube, dass sie einem Unrecht zugefügt hätten. Instinktive Verachtung für politische Gegner sei alltäglich geworden, genauso wie die Schadenfreude, wenn die andere Seite einen Rückschlag einstecken müsse. Und in den USA, wird ein Experte zitiert, seien Zorn und Furcht inzwischen zur Essenz eines jeden Wahlkampfs geworden: „Das ist es, womit man Wahlen gewinnt.“

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2019)

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