CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer und Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, haben grundlegend verschiedene Sichtweisen auf die EU.
Brüssel/Wien. Angela Merkel brauchte voriges Jahr noch acht Monate, um auf Emmanuel Macrons Europarede an der Sorbonne zu reagieren, ihre Nachfolgerin an der Spitze der CDU (und möglicherweise auch im Kanzleramt), Annegret Kramp-Karrenbauer, antwortete dem französischen Präsidenten binnen bloß einer Woche: Die Schnelligkeit der Befassung mit den europapolitischen Vorschlägen aus Paris durch die jeweilige starke Frau in Berlin legt einerseits nahe, wie ernst die politische Führung in Deutschland die Reformideen Macrons nimmt. Anderseits zeigt der Vergleich der beiden als Gastkommentare in internationalen Zeitungen verfassten Manifeste, wie unterschiedlich man links und rechts des Rheins über Europa denkt. „Die Presse“ hat die Sollbruchstellen im deutsch-französischen Umgang mit Europa untersucht.
1. Sicherheitspolitik: Deutschland ist von der Venus, Frankreich vom Mars
Kramp-Karrenbauer fordert einen „gemeinsamen ständigen Sitz der EU“ im UNO-Sicherheitsrat – doch dieses deutsche Vorbringen hätte erst vor Kurzem beinahe den Abschluss des Aachener Vertrages zwischen den beiden Staaten verhindert. Es ist derzeit undenkbar, dass Frankreich zugunsten der EU auf seinen Sitz verzichtet – vor allem, weil die Union noch immer nicht zu einer konsistenten Außen- und Sicherheitspolitik fähig ist, siehe Venezuela und Russland. Während hingegen Macron fordert, dass die Europäer ihre „unentbehrlichen Verpflichtungen in einem Vertrag über Verteidigung und Sicherheit“ festlegen, was in erster Linie zu einer „Erhöhung der Militärausgaben“ führen müsste, bleibt die CDU-Chefin stumm: Kein Wort von ihr über die kraft mangelnder Investitionen beschränkte Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte. Hingegen verblüfft sie mit dem „symbolischen Projekt“ eines „gemeinsamen europäischen Flugzeugträgers“.