Nachrufe auf al-Qaida sind verfrüht

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Der Zustrom von Islamisten aus dem Westen, speziell aus Deutschland, in pakistanische Trainingslager ist ungebrochen.

Wien. Er hatte bereits die Komponenten für den Sprengstoff – Chemikalien, die in einer Drogerie für jedermann frei erhältlich sind. Er wusste, wie er daraus tödliche Sprengsätze zusammenbauen konnte – das hatten ihm die Bombenexperten der al-Qaida in Pakistan beigebracht. Und er hatte sich auch schon das Ziel für seinen Selbstmordanschlag ausgesucht: die New Yorker U-Bahn.

Doch bevor der gebürtige Afghane Najibullah Zazi, der als Teenager in die USA eingewandert war, seine tödlichen Pläne in die Tat umsetzen konnte, schlug das FBI im vergangenen September zu. „Ich wollte mich opfern, um aufzuzeigen, was das US-Militär Zivilisten in Afghanistan antut“, sagte der 24-jährige, der sich Ermittlern gegenüber nach der Festnahme als äußerst gesprächig erwies. Mittlerweile sind mehrere Komplizen in Haft, darunter zwei US-Bürger.

„Homegrown islamic terrorism“ („hausgemachter islamischer Terrorismus“) – nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 wurde einer breiten Öffentlichkeit im Westen die Bedeutung dieses Begriffs schlagartig bewusst. Immer öfter haben die Sicherheitskräfte in den USA und Europa seither Komplotte aufgedeckt, deren Protagonisten Staatsbürger der jeweiligen Länder waren oder schon lange dort lebten.

Mehr Rekruten trotz Fahndungsdrucks

Großes Aufsehen erregte 2007 die Sauerland-Gruppe rund um zwei zum Islam konvertierte Deutsche, die Anfang März zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Die Anschläge, die sie auf US-Einrichtungen verüben wollten, wären laut Anklage die größten je in Deutschland verübten Terrorakte gewesen. Durch die ausführlichen Geständnisse der vier haben die Fahnder wertvolle Erkenntnisse darüber erlangt, was in den Ausbildungslagern tatsächlich vor sich geht.

Zwar gelingt es den Ermittlern immer besser, derartigen Komplotten auf die Spur zu kommen. Doch der Terror-Tourismus vom Westen ins pakistanisch-afghanische Grenzgebiet und zurück bleibt eine immense Gefahr: „Obwohl der Fahndungsdruck steigt, steigt auch die Zahl derer, die vom Westen in die Region reisen, um paramilitärisches Training zu bekommen“, sagt der US-Terrorexperte Paul Cruickshank zur „Presse“. Er hat in einer Studie die 21 größten Terrorverschwörungen seit 2004 im Detail untersucht: Bei gut der Hälfte wurden die (Möchtegern-)Täter in Pakistan ausgebildet, in knapp zwei Fünfteln der Fälle kamen die Befehle direkt von der mit größter Wahrscheinlichkeit in Pakistan versteckten al-Qaida-Führung oder von anderen mit ihr vernetzten Terrorgruppen in der Region.

Starke Radikalisierung in Deutschland

Seit dem 11. September 2001 und der US-geführten Invasion in Afghanistan sind al-Qaida und Konsorten über die Grenze nach Pakistan ausgewichen. Die Zahl der Bürger aus westlichen Staaten, die dort seither Terrorcamps durchlaufen haben, geht in die Hunderte. Allein aus Deutschland waren es zwischen 50 und 60 – von denen man wisse, so Cruickshank. Rein numerisch erscheint das noch harmlos im Vergleich zu den geschätzten 2000 Islamisten aus Großbritannien, die bereits seit den 90er-Jahren die einschlägigen Lager frequentiert haben. Allerdings: „Wie wir gesehen haben, reichen vier oder fünf Leute, um viele Tote zu verursachen“, sagt Cruickshank, dem besonders die Entwicklung in Deutschland Sorgen macht: „Dort ist eine sehr alarmierende Radikalisierung zu beobachten. Deutschland hat ein wachsendes Problem mit den Reisebewegungen in Terrorlager“. In Österreich sieht der Experte kein vergleichbares Problem.

Pakistan: Neue demokratische Verfassung

Aus Gründen des Schutzes vor US-Drohnenangriffen auf pakistanischem Territorium, die sich seit 2008 merklich verstärkt haben, waren die Terroristen gezwungen, zu dezentralisieren, zu improvisieren und die Lager zu verkleinern. Der Begriff Lager trifft oft nicht mehr zu, festgenommene Rückkehrer berichteten teils von Verstecken für gerade eine Handvoll Menschen: „Al-Qaida hat ihre Struktur erfolgreich angepasst“, meint Cruickshank, der die seit Jahren zu hörenden Nachrufe auf das Terrornetzwerk für verfrüht hält. Die Berichte einstiger Rekruten zeigten vielmehr, dass die Bombenbautechniken immer ausgefeilter würden.

Und was tut Pakistan dagegen? Teile des Geheimdienstes ISI haben ja die Taliban groß gemacht und pflegen ein Naheverhältnis zum militanten Islamismus. Ex-Militärmachthaber Pervez Musharraf stellte sich nach dem 11. September 2001 zwar an die Seite der USA, doch sein Vorgehen gegen Terrorgruppen war bestenfalls halbherzig und ineffizient, was diese Gruppen mittelfristig sogar gestärkt hat. Cruickshank: „Es war nicht sehr klug, sie erst ein wenig zu ärgern, aber gewisse Territorien erst recht unter ihrer Kontrolle zu lassen.“ Mittlerweile habe ein Umdenken stattgefunden. Die Sicherheitskräfte sind aufgewacht, seit bei Anschlägen immer mehr Pakistani gestorben sind und selbst das Armeehauptquartier Ziel einer erfolgreichen Attacke wurde.

Überhaupt stehen in Islamabad die Zeichen derzeit auf Wandel: Am Montag kehrte das Land zur demokratischen Verfassung von 1973 zurück. Präsident Asif Ali Zardari hat mit seiner Unterschrift dafür gesorgt, dass seine eigenen Vollmachten künftig stark eingeschränkt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2010)

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