May scheitert wieder - kommt nun ein harter Brexit?

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Das britische Unterhaus erteilt Premierministerin Theresa May die nächste Abfuhr. Am Mittwoch stimmen die Abgeordneten über einen No-Deal-Brexit ab. "Ich werde dagegen stimmen", macht May klar.

London. Die nächste Abstimmung, die nächste Niederlage. Was sich im Verlauf des gestrigen Dienstag bereits abgezeichnet hatte, wurde in den Abendstunden Tatsache: Das Unterhaus des britischen Parlaments bescherte Premierministerin Theresa May in der Abstimmung über ihr Brexit-Abkommen eine neuerliche Niederlage. Mit 391 Nein- und 242 Ja-Stimmen fiel die Ablehnung noch deutlicher aus als von der Regierung bereits befürchtet. May sprach mit gebrochener Stimme von "tiefem Bedauern" über die Entscheidung der Abgeordneten.

Dennoch will die Premierministerin an ihrem bisherigen Fahrplan festhalten: Als nächstes soll das Unterhaus Mittwochabend entscheiden, ob Großbritannien beim Scheitern aller anderen Bemühungen auch ohne Abkommen am 29. März aus der EU ausscheiden soll. May machte klar: "Ich werde gegen einen No-Deal stimmen." Zugleich ging sie aber wieder einmal vor den Hardlinern in ihrer konservativen Parlamentsfraktion in die Knie und versprach für Mittwochabend (die Abstimmung wird gegen 20 Uhr MEZ erwartet) eine freie Abstimmung ohne Klubzwang.

EU-Chefverhandler Michel Barnier warnte bereits: Die Gefahr eines "No Deal" sei so groß wie noch nie zuvor. "Wir müssen uns für einen harten Ausstieg wappnen".

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Abgeordnete könnten morgen für Verschiebung stimmen

Dennoch wird damit gerechnet, dass das Unterhaus auch dem No-Deal-Brexit eine Absage erteilen wird. Was dann kommt, blieb vorerst aber völlig unabsehbar. Der Zeitplan der Regierung sieht als dritte Abstimmung in dieser Woche morgen, Donnerstag, eine Entscheidung über eine Verlängerung des Brexit-Prozesses vor. May aber warnte die rebellischen Abgeordneten: „Sie stehen vor einer Wahl, um die Sie niemand beneiden wird.“ Für einen britischen Antrag auf Verschiebung werde man der EU erst gute Gründe vorlegen müssen: „Ein Aufschub löst das Problem nicht.“ Aus Brüssel gab es vorerst keine Stellungnahme.

Der Chef der oppositionellen Labour Party, Jeremy Corbyn, rief dagegen nach der Abstimmung die Premierministerin dazu auf, "endlich" zur Kenntnis zu nehmen, dass "Ihr Deal gescheitert ist." Nun sei der Moment gekommen, im Parlament eine Mehrheit für einen neuen Zugang zu finden, wie ihn Labour vorschlage mit Verbleib in der Zollunion. Davor hatte der Brexit-Sprecher von Labour, Keir Starmer, in einem nachdenklichen Debattenschlusswort gewarnt, Großbritannien befinde sich in einer "schwierigen Situation", und dies sei "kein Anlass zur Freude".

Auch wenn es aller Voraussicht spätestens Donnerstagabend zu einem Beschluss für eine Verschiebung des Brexit kommen sollte, blieb rätselhaft, welche Position in der Regierung einerseits und im Parlament andererseits eine Mehrheit finden könnte. Im Kabinett ist "die Disziplin vollkommen zusammengebrochen", wie die Politologin Ruth Fox sagte. Im Unterhaus fühlen sich die wenigsten Abgeordneten von Verantwortungsbewusstsein und Sorge um die Nation in ihren Willensbekundungen beeinträchtigt. Mit ihren ständigen Verzögerungen und Kompromissangeboten an die Hardliner hat May ihre Gegner nur stärker gemacht.

Niemand will Himmelfahrtskommando übernehmen

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte London Montagnacht nach den Krisengesprächen in Straßburg, "eine dritte Chance wird es nicht gegeben." Beeindruckt hat das offenbar nur wenige im Parlament. Mit 149 Stimmen fiel Mays Niederlage zwar nicht ganz so schlimm aus wie Mitte Jänner aus, als 230 der 650 Unterhausabgeordneten gegen ihren Deal stimmten. Es war aber immer noch die viertgrößte Niederlage aller Zeiten. Ihr politisches Kapital hat die Premierministerin längst aufgebraucht. Was ihr geblieben ist, ist den Brexit über die Ziellinie zu bringen, und das vor allem auch nur mehr deshalb, weil niemand dieses Himmelfahrtskommando übernehmen will. May betonte gestern aber unverdrossen: "Es ist unsere Pflicht, das Votum der britischen Wähler (für den Brexit) umzusetzen."

Der Widerstand gegen Mays überarbeitetes Abkommen mit der EU-Führung konzentrierte sich einmal mehr auf die Nordirland-Auffanglösung. Die Vereinbarung, die May der EU-Spitze abgerungen hatte, sei zwar "rechtlich bindend", erklärte Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox. Zugleich befand er aber in einem Gutachten, das "rechtliche Risiko" für Großbritannien, den Backstop nicht einseitig verlassen zu können, "besteht unverändert".

"Hat es jemals einen solchen Fall gegeben?"

Damit konnte May offenbar nur eine von zwei Forderungen der Brexit-Hardliner nach Hause bringen. Die Ultras verlangen für Großbritannien ein einseitiges Recht auf Ausstieg aus der Vereinbarung, sobald man der EU "bewusste Böswilligkeit" vorwerfen könne. Der Kompromiss von Straßburg räumt bei Konflikten hingegen jeder Seite das Recht ein, ein unabhängiges Schiedsgericht anzurufen. Mit dem Backstop soll nach dem Brexit die Rückkehr zu einer befestigten Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland verhindert werden. Er steht im (gescheiterten) EU-Deal auf ausdrücklichen Wunsch Londons.

Trotz aller Bemühungen um Zugeständnisse der EU gelang es May, weder die Hardliner in den eigenen Reihen umzustimmen, noch bei der Opposition und der gemäßigten Mitte ihrer eigenen Partei Befürworter zu finden. Schon im Lauf des Tages machten sowohl die konservativen Ultras als auch die nordirische DUP, die Mehrheitsbeschaffer von Mays Minderheitsregierung, aus ihrem Widerstand kein Geheimnis. Bei der Abstimmung konnte die Premierministerin aber nicht mehr als drei Labour-Stimmen für sich gewinnen. So überwältigend fiel schließlich die Ablehnung aus, dass der Chef der oppositionellen Liberaldemokraten, Vince Cable, fragte: "Hat es schon einmal seit der Unabhängigkeit Amerikas einen Fall gegeben, dass eine Regierung zweimal eine solche Abfuhr erlitten hat und dennoch an ihrer Politik festgehalten hat?"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2019)

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