Blackout in Venezuela: "Wir sterben jeden Tag ein bisschen mehr"

Venezuelan opposition leader Juan Guaido speaks to the crowd during a protest against Venezuelan President Nicolas Maduro's government in Caracas
Venezuelan opposition leader Juan Guaido speaks to the crowd during a protest against Venezuelan President Nicolas Maduro's government in CaracasREUTERS
  • Drucken

Der schlimmste Stromausfall in der Geschichte des lateinamerikanischen Staates hält an. Es kommt zu Protesten und Plünderungen. Der selbst ernannte Übergangspräsident Guaido gibt sich siegessicher.

Stromausfälle sind im Krisenstaat Venezuela keine Seltenheit. Der Großteil der Bevölkerung ist für solche Vorfälle gerüstet. Vergangenen Donnerstag gingen wieder einmal die Lichter aus. Im ganzen Land. Als der Strom auch nach Stunden nicht aus der Dose kam, wurde der Albtraum zur Wirklichkeit: Ein Blackout, der noch immer andauert. Es kommt zu Protesten und Plünderungen.

Insgeheim habe sie schon längst mit einem Blackout gerechnet, sagt Lennis Rojas. Erst vor wenigen Monaten gab es einen Zwischenfall. Die Hälfte des Landes war von der Stromversorgung abgeschnitten. "Das System ist seit 2009 sehr schlecht. Wir leben bereits sehr lange mit diesen Bedingungen. Aber dieses Mal war der Stromausfall besonders schlimm. So etwas kennt man aus Filmen, aus Büchern. Wenn du es selbst erleben musst, ist es der blanke Horror", sagt die zweifache Mutter aus Caracas.

Kein Gas, Kein Benzin, kein Zahlungsverkehr

Die Hauptstadt, die nachts ohnehin den Kriminellen und Paramilitärs gehört, blieb vier Nächte lang stockdunkel und versank im Chaos: die ohnehin marode Wasserversorgung brach zusammen, weil die Pumpsysteme elektrisch betrieben werden. Weder Gas, noch Benzin waren verfügbar. Der gesamte Zahlungsverkehr, der wegen der exorbitanten Inflation von 2,69 Millionen Prozent inzwischen fast ausschließlich elektronisch abgewickelt wird, kam zum Erliegen. Es gibt mit Ausnahme der Mobiltelefone noch immer keine Internet-Verbindung.

Besonders schwerwiegend hat sich der Stromausfall auf die Krankenversorgung in Venezuela ausgewirkt. Mindestens 40 Menschen kamen nach Angaben von Coalición de Organizaciones por el Derecho a la Salud y la Vida, kurz Codevida, während des Blackouts ums Leben. "Es ist eine Katastrophe. Wir haben momentan die Information, dass 15 Dialyse-Patienten starben, weil sie unterversorgt waren", bestätigt Francisco Valencia, der Direktor der venezolanischen Gesundheitsorganisation, im Gespräch mit der APA. Wie hoch die Zahlen tatsächlich sind, lasse sich noch nicht sagen. Die Kommunikation zu allen 23 Territorialgebieten konnte noch nicht hergestellt werden.

Ärzte müssen sich mit Handys Licht machen

Durch die lange unterbrochene Stromversorgung nehmen Blutbanken große Schäden und Medikamente, wie jene für Diabetiker beispielsweise, verlieren ihre Wirkung. Eiswürfel für die Kühlung wurden prompt zum Geschäftsschlager. Die fehlende Klimatisation begünstigt bei der momentan anhaltenden Hitze - in Teilen Venezuelas liegt die Temperatur tagsüber bei mehr als 30 Grad Celsius - zudem die Ausbreitung von Infektionskrankheiten.

"Es ist schrecklich. Die Kombination aus allen Auswirkungen endet für viele tödlich", sagt Leonardo Segovia, Arzt in der Privatklinik Ávila in Caracas. Er spricht, wie auch der selbst ernannte Präsident Juan Guaidó, von mehr als 80 Toten während des Blackouts. Ärzte mussten sich in den Nächten mit Mobiltelefonen Lichtquellen verschaffen. Im Schein der Handylampe wurden Frühchen im Inkubator mit einem Beatmungsbeutel am Leben gehalten - die Bilder und Videos ging um die Welt.

Juan Guaido: "Bald in meinem Büro im Präsidentenpalast"

Hilfslosigkeit und Angst treiben inzwischen immer mehr Venezolaner auf die Straße, um gegen Machthaber Nicolás Maduro und sein handlungsunfähiges Kabinett zu demonstrieren. Nach einem wochenlangen Machtkampf mit dem venezolanischen Staatschef gibt sich der selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaido siegessicher. "Wir sind kurz davor, unsere Freiheit zurückzuerobern", sagte er am Dienstag bei einer Demonstration in der Hauptstadt Caracas. "Bald brauche ich ein neues Büro zum Arbeiten. Bald gehe ich in mein Büro im (Präsidentenpalast) Miraflores.

"Obwohl Guaido in Venezuela selbst bisher noch keine echte Machtposition aufbauen konnte, zeigte er sich selbstbewusst. "Das Ende der illegalen Machtübernahme ist nah", sagte er unter dem Jubel seiner Anhänger.

Allerdings könnte der selbst ernannte Übergangspräsident auch im Gefängnis landen. Wegen Sabotage gegen die Energieversorgung des Erdöllandes leitete die Staatsanwaltschaft am Dienstag Ermittlungen gegen ihn ein. Bereits seit Jänner wird gegen Guaido ermittelt ,nachdem sich der Abgeordnete zum Übergangspräsidenten erklärt und Staatschef Maduro damit offen herausgefordert hatte. Dabei wurde auch eine Ausreisesperre gegen ihn verhängt. Seine Konten wurden eingefroren.

Wer ist Schuld an dem Blackout?

Zudem macht Maduro die Opposition verantwortlich, die Energieversorgung durch einen mit den USA durchgeführten Cyberangriff lahmgelegt zu haben. Guaido und seine Anhänger hingegen sehen die Schuld bei der Regierung, die die notwendige Investitionen verschleppt und das Netz nicht richtig gewartet habe. Nun soll eine internationale Untersuchungskommission Aufschluss geben. Neben den Vereinten Nationen habe er dafür Russland, China, den Iran und Kuba um Unterstützung gebeten, sagte Maduro.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Venezuelas Oppositionsführer flüchtet in spanische Botschaft

Der prominente Maduro-Gegner López hat Zuflucht in der Botschafterresidenz in Caracas gesucht, nachdem die venezolanische Justiz einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hat.
Außenpolitik

Venezuela: Haftbefehl gegen Leopoldo López erlassen

Der venezolanische Oppositionelle flüchtete in die spanische Botschaft. Sein Verbündeter Guaidó rief unterdessen zum Generalstreik aus, um Druck auf das Maduro-Regime aufzubauen.
In Caracas brennen die Barrikaden. In Venezuelas Hauptstadt drohten am Tag der Arbeit schwere Straßenschlachten.
Außenpolitik

Venezuela: Verzweiflungsakt gegen das Maduro-Regime

Oppositionsführer Juan Guaidó sucht eine Entscheidung im Machtkampf.
Außenpolitik

Venezuela: Maduro soll Flucht geplant haben - Russland bestreitet das

In Venezuela spitzt sich die Lage zu. Interimsstaatschef Guaidó hat zu weiteren Massendemonstrationen unter dem Motto „Operation Freiheit" aufgerufen. Indes soll Maduro eine Flucht nach Havanna geplant haben.
Soldiers ride on top of a car with supporters of Venezuelan opposition leader Juan Guaido during anti-goverment protests, in Caracas
Außenpolitik

Machtkampf in Venezuela erreicht neuen Höhepunkt

In Venezuela kam es am Dienstag zu heftigen Auseinandersetzungen. Der selbst ernannte Übergangspräsident Guaidó sagte Präsidenten Maduro offen den Kampf an. Maduro wiederum erklärte eine Rebellion von Soldaten für gescheitert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.