Ethik sollte nicht zur Wahl stehen

Schule. Sinnvoll wäre: Ein verpflichtender Ethikunterricht für alle – und daneben Religionsunterricht für die, die es wünschen.

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Bildungsminister Heinz Faßmann trat vor wenigen Tagen mit sichtlichem Stolz vor die Medien; die Zeit sei reif, endlich einen Ethikunterricht im Regelschulsystem zu verankern. Mit Beginn des Schuljahres 2020/21 ist die Einführung von Ethik als Ersatzpflichtgegenstand für den Religionsunterricht geplant. Dass Ethik nur ein Ersatzpflichtgegenstand sein soll, begründete der Bildungsminister damit, dass es wohl keinen Religionsunterricht gäbe, der nicht auch Fragen der Ethik behandle. Das ist zwar richtig, kann aber nicht verdecken, dass diese Beschränkung problematisch ist.

Dass der Ethikunterricht gerade jetzt eingeführt werden soll, hat – wie vieles andere – mit dem Problem der Migration zu tun. Es sind Menschen zu uns gekommen, die die Fragen unseres Zusammenlebens anders beantworten, als dies bei uns üblich ist. Eine demokratische Gesellschaft kann aber nur funktionieren, wenn sie von einem gemeinsamen Wertefundament getragen ist. Dazu gehören ein respektvoller Umgang mit anderen, die Akzeptanz von Verschiedenheit, die Stellung von Minderheiten. Kurzum: Ein Ethikunterricht soll Menschen befähigen, in kritischer Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen des Zusammenlebens verantwortungsbewusst und konstruktiv zu handeln.

Kann ein solcher Ethikunterricht durch einen konfessionsgebundenen Religionsunterricht ersetzt werden? Ein konfessionsgebundener Religionsunterricht gehört zur inneren Angelegenheit der Religionsgesellschaften und entzieht sich dem staatlichen Einfluss. Es ist allein Sache der Religionsgesellschaft, diese Inhalte zu bestimmen. Ist gewährleistet, dass ein solcher Religionsunterricht ein vollwertiger Ersatz für Ethikunterricht ist? Wird etwa ein islamischer Religionsunterricht zur Frage der Gleichstellung der Frauen, des Umganges mit gleichgeschlechtlicher Sexualität oder des Verhältnisses von Staat und Religion so möglich sein, dass er mit unserem Gesellschaftsbild vereinbar ist? Welche Antworten wird ein solcher Religionsunterricht auf die dramatischen Fragen der biomedizinischen Forschung liefern?

Diese Fragen stellen sich nicht nur in Bezug auf den islamischen Religionsunterricht, sondern auch für andere Religionen. So hat etwa der Vorgänger des amtierenden Papstes mehrfach und mit Nachdruck betont, der Wertrelativismus sei eine Geisel unserer Zeit. Der Wertrelativismus ist aber eine unabdingbare Grundlage eines demokratischen Systems. Wer den Wertrelativismus als Geisel bezeichnet, stellt demokratische Systeme insgesamt infrage. Ich verkenne nicht, dass in der katholischen Kirche vieles in Bewegung ist, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung kann katholischem Religionsunterricht als Ersatz für Ethikunterricht aber derzeit keinesfalls erteilt werden.

Nicht alle Schüler erreicht

Die beabsichtigte Regelung führt dazu, dass die Schüler, für die staatlicher Ethikunterricht besonders wichtig wäre, vermutlich nicht erreicht werden, weil sie ihren Religionsunterricht besuchen. Je verhafteter diese Personen in ihrem Glauben sind, desto eher wird dies zutreffen. So verliert der Ethikunterricht gerade dort seine Wirkung, wo sie am dringendsten notwendig wäre.

Das stellt aber die Sachlichkeit der geplanten Neuregelung infrage; dazu kommt, dass in diesem System der Ethikunterricht indirekt eine Sanktion für die Nichtteilnahme am Religionsunterricht ist. Da Religionsunterricht aber frei von staatlichem Zwang zu bleiben hat, ist auch die Verfassungsmäßigkeit dieses Projekts fraglich. Daher: Ethikunterricht für alle, daneben Religionsunterricht für die, die dies wünschen.

DDr. Heinz Mayer ist emeritierter Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2019)

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