In der Provinz Xinjiang verschwinden Hunderttausende Menschen in Umerziehungslagern. Auch Berichte über Folter und Tote machen die Runde. Peking aber nennt die Berichte lächerlich.
Wien/Urumqi. Als Murat Hari Uyghur die Stimme seiner Eltern nach mehr als einem Jahr am Telefon hörte, wusste er, dass etwas nicht stimmte. „Ich bin ihr einziger Sohn. In meiner Kultur weinen wir normalerweise vor Freude. Aber meine Mutter lachte“, erzählt der Arzt und Autor. Ihrer Beschwichtigung, er solle sich keine Sorgen machen, glaubte er nicht. „Ich konnte ihre Angst spüren, mir zu sagen, was passiert war.“
Zunächst war seine Mutter im April 2017 in der westchinesischen Provinz Xinjiang in ein Umerziehungslager gebracht worden. „Deine Mutter ist studieren gegangen“, sagte sein Vater damals am Telefon, Mandarin- und Patriotismusunterricht sollte sie besuchen. Im Jänner 2018 verschwand auch er. Warum genau, weiß der 33-Jährige, der mit seiner Familie nach Finnland gezogen ist, nicht. „Ich glaube, weil ich im Ausland lebe. Meine Eltern sind gebildete, bereiste Leute – vor allem aber sind sie ethnische Uiguren.“
Indoktrinierung und Folter
Ende 2018 durften die beiden das „Konzentrationslager“, wie Uyghur es nennt, verlassen. Seitdem stehen sie unter Hausarrest. Vielleicht sei es seinem Engagement zu verdanken, meint er. Uyghur entschied sich, das Schweigen der Auslandsuiguren, die Repressionen gegen Verwandte und Bekannte in der Heimat fürchteten, zu brechen. Per Videobotschaft forderte der gebürtige Chinese die Regierung im Mai 2018 auf, seine Eltern freizulassen. Seitdem ist die Bewegung gewachsen. Unter dem Hashtag #MeTooUyghur machen immer mehr Uiguren auf das Schicksal des Turkvolkes aufmerksam.