Grätzeltour

Wien Alsergrund: Kein Hype, keine Bobos und der Grauschleier der Häuser ist weg

Lieblingsplatz: Hans-Peter Kellner im Gasthaus Lechner.
Lieblingsplatz: Hans-Peter Kellner im Gasthaus Lechner.(c) DIMO DIMOV
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Regisseur Hans-Peter Kellner kommt in seine alte Heimat zurück: Wie sich der neunte Wiener Bezirk in 30 Jahren verändert hat – und warum er das Grätzel so besonders mag.

Wien Alsergrund, 1988: Das TGM (Technologisches Gewerbemuseum) hieß seit sieben Jahren WUK (Werkstätten- und Kulturhaus), im Auge-Gottes-Kino lief Loriots „Ödipussi“, im Café Weimar lockte eine Disco im Keller, und eine großzügige Altbauwohnung zu mieten, war keine große Sache: Auch nicht für Hans-Peter Kellner, der sich in der Wilhelm-Exner-Gasse eine Bleibe nahm.

„Es war in den 80er-Jahren eine tolle Gegend, und sie hat sich nicht sehr geändert“, meint der Regisseur und Autor, der nach rund 25 Jahren in London und Kopenhagen wieder Wien als Hauptstützpunkt wählt. „Kopenhagen ist die beste Stadt für Kinder, aber meine zwei Töchter sind flügge geworden – und ich freue mich schon wieder auf Schnitzel ohne Soße“, schmunzelt er. Nach den Jahren in der ruhigen, flachen Gegend mit sehr relaxt-freundlichen Menschen „könnte der Unterschied kaum größer sein“, vergleicht er die Städte. Das urbane, mit hohen Gründerzeithäusern und, „wenn sie wollen, freundlichen Wienern“ möge er genauso. Besonders den neunten Bezirk. „Es ist ruhig und im Vergleich zu Naschmarkt oder Karmelitermarkt auch sehr ungentrifiziert geblieben.“ Kein Hype, keine Bobos. „Was mich aber besonders freut: Der Grauschleier ist weg, der damals über den Häusern hing.“

Schnitzel statt Smörrebröd


Das gelte natürlich nicht nur für den Alsergrund zwischen Alserbachstraße und Währinger Straße, Volksoper und Schubertgasse – mit dem Sobieskiplatz mittendrin samt seinen alten Bäumen und dem Brunnen zur Erinnerung an den Auslaufbrunnen der ehemaligen Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung, ein Lieblingsplatz. Es gebe vieles hier, was sich zu besuchen lohne, ganz in der Nähe ein Kleinod aus alter Zeit: Schuberts Geburtshaus in der Nußdorfer Straße. Und in der Nähe die Vespa-Firma Filipo. „Dass es das mitten in der Stadt gibt, finde ich bemerkenswert“, so Kellner. Und erfreulich: „Ich habe mir 30 Jahre lang eine Vespa gewünscht. Jetzt ist es so weit: Ich kaufe mir eine.“
In nächster Nähe liegen auch die Volksoper, die ehemalige Markthalle – und „einer meiner absoluten Lieblingsplätze, das Gasthaus Lechner“, verrät Kellner. Das Restaurant ohne Homepage und Mailadresse in der Wilhelm-Exner-Gasse wartet mit Altwiener Charme auf – unaufgeregt und solide stehen „G'röste Nierndln“ oder Rahmherz auf der Speisekarte, kredenzt wird im Schankraum auf Tischen mit hellgrünem Resopalbelag. Tischtücher? Nur in den Nebenräumen.

Was ist wo? Grätzeltour im Alsergrund
Was ist wo? Grätzeltour im AlsergrundDie Presse Print

„Hier wird auch immer wieder Theater gespielt,“ erzählt Kellner. Am 13. März etwa war es „Lumpazivagabundus“, der im Hinterzimmer zur Aufführung kam. Kellner selbst führt derzeit beim Stück „Eine pornografische Beziehung“ Regie (siehe Kasten), während seine Wohnung im dritten Stock noch hergerichtet wird. „Wände und Böden brauchen ein wenig Erneuerung.“
Die Markthalle in der Nußdorfer Straße hat als solche nicht überdauert – ein Supermarkt ist eingezogen. „Aber schön, dass sie nicht abgerissen wurde.“ Zu Handelskettenfilialen wurden auch die Kinos Auge Gottes und Colosseum in der Nußdorfer Straße umgewandelt. „Ich habe das Gefühl, dass die Gegend sich nach einigen Jahren mit leer stehenden Geschäften wieder gefangen hat“, meint Kellner. „Man muss nirgends weit hin“, es gebe Handwerksgeschäfte ums Eck ebenso wie diverse Gastronomie. „Kim kocht und das Ymás sind immer voll, wenn ich vorbeigehe“, bemerkt er. „Und dass die U5 in Zukunft hier vorbeikommen wird, ist natürlich gut.“
Und was macht der Discokeller im – vor kurzem sanierten und von Johann Diglas übernommenen – Café Weimar? Er lässt sich als Club Palme für private Feste buchen.

Zum Ort, Zur Person

Der Alsergrund wurde 1850 aus sieben Vorstädten gebildet, 34,6 Prozent sind heute mit Verkehrsflächen verbaut (Wien 13,7 Prozent), während Grünflächen 6,5 Prozent ausmachen. Dennoch ist der gründerzeitlich dominierte Bezirk eine beliebte Wohngegend. Mietwohnungen kosten zwischen 8,1 und 11,9 Euro/m2.
Hans-Peter Kellner ist als Regisseur international tätig, derzeit für das Stück „Eine pornografische Beziehung“, das am 21. März im Theater Akzent Premiere hat.

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