Der letzte Kaiser verließ Österreich unter "feierlichem Protest"

Karl I und Zita 1916
Karl I und Zita 1916(c) Imago
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Vor hundert Jahren ging der ehemalige Kaiser Karl I. mit seiner Familie ins Schweizer Exil. Der Schriftsteller Stefan Zweig wurde zufällig Zeuge des historischen Moments.

„In diesem Augenblick war die tausendjährige Monarchie erst wirklich zu Ende. Ich wusste, es war ein anderes Österreich, eine andere Welt, in die ich zurückkehrte.“ Es war ein bemerkenswerter Zufall der Geschichte, dass der Schriftsteller Stefan Zweig am 24. März 1919 diesen Augenblick miterlebte. Nach der Einreise aus der Schweiz sah er in der österreichischen Grenzstation Feldkirch einen Zug heranrollen, einen „Zug besonderer Art, nicht die abgenutzten, vom Regen verwaschenen gewöhnlichen Passagierwaggons, sondern schwarze, breite Wagen, ein Salonzug“. Hinter den Zugsfenstern erkannte Zweig niemand geringeren als Karl, letzter Kaiser von Österreich. Er war in die Gegenrichtung unterwegs: ins Schweizer Exil.

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg hatte Karl I. am 11. November 1918 „auf jeden Anteil an den Regierungsgeschäften“ verzichtet. Eine formelle Abdankung war das freilich nicht. Tags darauf rief die Provisorische Nationalversammlung die Republik Deutschösterreich aus. "Von diesem Augenblicke an war es klar, dass die Anwesenheit eines Kaisers, der auf sein Thronrecht nicht verzichtet hatte, in einer Republik Unzukömmlichkeiten schaffen müsse und unerträglich sei", wie die "Presse" anlässlich des späteren Gangs ins Exil schreiben sollte.

Zunächst jedoch blieben Karl, seine Frau Zita und ihre Kinder. Von Schönbrunn ging es samt verkleinertem Hofstaat ins Marchfelder Schloss Eckartsau. „Kein angenehmer Aufenthalt“, wie es in den 1920 niedergeschriebenen Erinnerungen Karls heißt: „Jeden Tag war man gefasst, dass irgendein Gesindel heraus kommen würde.“ Unangemeldet kam etwa Staatskanzler Karl Renner, der Karl zur Ausreise überreden wollte – der ehemalige Kaiser empfing ihn jedoch erst gar nicht.

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Doch der Druck zum Gang ins Exil stieg, letztlich stellte die Regierung Karl vor die Wahl: offiziell abdanken, interniert werden oder ins Ausland gehen. „Da die erste Lösung ausgeschlossen, die zweite Lösung aber unmöglich war, da die Internierung gleichbedeutend gewesen wäre mit Bewachung durch die rote Armee und schließlich Schicksal des armen Kaisers von Rußland (die Zarenfamilie wurde im Juli 1918 ermordet, Anm.), entschied ich mich für die dritte Lösung.“

Noch einmal "Gott erhalte"

Am 23. März erklang in der Schlosskapelle Eckartsau ein letztes Mal „Gott erhalte“, bevor Karl und seine Familie in Kopfstetten den Zug Richtung Schweiz bestiegen. Am Nachmittag des nächsten Tages passierten sie die Grenze. „Nun stand der hohe ernste Mann am Fenster und sah zum letztenmal die Berge, die Häuser, die Menschen seines Landes“, schreibt Zweig in „Die Welt von Gestern". „Alle um uns spürten Geschichte, Weltgeschichte in dem tragischen Anblick. Die Gendarmen, die Polizisten, die Soldaten schienen verlegen und sahen leicht beschämt zur Seite, weil sie nicht wußten, ob sie die alte Ehrenbezeigung noch leisten dürften, die Frauen wagten nicht recht aufzublicken, niemand sprach, und so hörte man plötzlich das leise Schluchzen der alten Frau in Trauer, die von wer weiß wie weit gekommen war, noch einmal 'ihren' Kaiser zu sehen.“

Anders als Zweig wollte Karl in dieser Zugsfahrt nicht den endgültigen Abschied von der Monarchie erkennen. Noch vor dem Passieren der Grenze erhob er „feierlichen Protest“ gegen „alle meine jahrhundertealten Herrscherrechte verletzenden Maßnahmen“ der Regierung. Nach wie vor wolle er „seinen Völkern ein gerechter und treubesorgter Vater sein“, heißt es in diesem "Feldkircher Manifest", das Karl an den Papst und den spanischen König sandte.

So bereitete sich Karl in der Schweiz (wo er zunächst auf Schloss Wartegg am Bodensee und später in der Villa Prangins am Genfer See residierte) dann auch auf die Wiedererlangung der Krone vor. "Die Krone, die von Gott verliehen ist", müsse man festhalten, so der Großneffe von Franz Joseph I. Zunächst sollte der Thron in Ungarn wiedererlangt werden. Im März 1921 reiste Karl inkognito über Österreich nach Ungarn zu Reichsverweser Miklos Horthy, der freilich nicht daran dachte, zu seinen Gunsten zurückzutreten. Auch ein zweiter Restaurationsversuch im Oktober 1921 scheiterte, bei Kämpfen mit dem früheren Monarchen ergebenen Truppen wurden mehrere Menschen getötet.  

"Die armen Majestäten haben kein Geld"

Den Siegermächten reichte es nun: Ein britisches Schiff brachte Karl und Zita nach Madeira, die Kinder kamen später nach. „Die armen Majestäten haben kein Geld“, schilderte eine Kammerzofe Zitas die Situation im Exil auf der Atlantikinsel. Zwar hatte man die Kronjuwelen aus Wien in die Schweiz mitgenommen, sie waren zu diesem Zeitpunkt aber wohl bereits versetzt – oder, nach Zitas Darstellung, gestohlen worden. Das Sommerhaus eines Bankiers in den Bergen, in dem die Familie Unterkunft fand, war im Winter wenig wohnlich: „Das Haus ist so feucht, dass alles nach Moder riecht“, notierte die Dienerin. Nur wenige Monate nach der Ankunft, am 1. April 1922, starb Karl an den Folgen einer Grippe und einer Lungenentzündung.

Seine Familie blieb noch jahrzehntelang aus Österreich verbannt. Der älteste Sohn Otto erhielt 1966 nach Abgabe einer Verzichtserklärung auf die Thron-Anwartschaft und erbitterten politischen Querelen einen österreichischen Pass. Zita durfte 1982 erstmals zurück in die alte Heimat. Am 1. April 1989 säumten zehntausende Menschen die Straßen, als die letzte Kaiserin in Wien zu Grabe getragen wurde. 70 Jahre nach dem Ende der Monarchie gab es, wie der „Spiegel" anmerkte, doch noch einmal ein „monarchistisches Spektakel“ im ehemaligen Habsburgerreich.

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