Christchurch: Die Stadt mit zwei Seiten und einem extremen Rand.
Auckland/Wien. Es ist Mitternacht in Neuseeland. Am anderen Ende der Telefonleitung eine verschlafene Stimme: „Wir sind im Schock.“ Mehr vorerst nicht. Vor neun Stunden haben Gewehrsalven die Ruhe eines Freitagnachmittags in Christchurch auf der Südinsel Neuseelands zerrissen. Warum ausgerechnet Christchurch?
Auf diese Frage gibt es in den mitternächtlichen Gesprächen mit Freunden drei verschiedene Antworten, die jedoch alle in Ratlosigkeit münden. Weil die älteste Stadt Neuseelands eine starke britische, also christliche, Tradition hat? Weil sie als Ikone der christlichen Städte gesehen wird? Weil sie auf der Südinsel eine relativ große muslimische Minderheit hat, vornehmlich Einwanderer und Flüchtlinge aus Indonesien und Somalia?
Weil es neben den stolzen Traditionen auch die Schattenseite eines nicht sehr stark ausgeprägten, aber doch vorhandenen Rechtsradikalismus gibt? Weil der Angriff auf die Moscheen Angst machen, dem Tourismus schaden und die Abneigung gegen Flüchtlinge aufstacheln sollte? Hört man den Erzählungen zu, so ergibt sich bald das Bild einer Stadt mit zwei Seiten: einerseits die stolze britisch-christliche Vergangenheit, andrerseits eine, wenn auch nicht sehr verbreitete, Armut; einerseits die tolerante Touristenstadt, andererseits die Stadt mit einer hohen Mordrate; einerseits eine der traditionellsten Städte Neuseelands, andrerseits „ziemlich verschieden“ vom Rest der Inseln.