Leopold-Museum: Ein Feuerwerk an Kunst und Wissen

Der Ausklang von Wien um 1900, schon in Richtung des Fatalen: Die Neuen Sachlichen, vorn der von Hitler so geschätzte Fritz Klimsch mit „Versonnen“, 1931.
Der Ausklang von Wien um 1900, schon in Richtung des Fatalen: Die Neuen Sachlichen, vorn der von Hitler so geschätzte Fritz Klimsch mit „Versonnen“, 1931.(c) LISA RASTL
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Eine fulminante Neuaufstellung der Wien-um-1900-Sammlung ist Direktor Hans-Peter Wipplinger gelungen, drei Geschoße und 1300 Exponate umfassend. Mit Period-Rooms und natürlich viel Schiele und Gerstl.

Elf Jahre war die Dauerausstellung zum Thema Wien um 1900 im Leopold-Museum alt, einst von Sammlersohn Diethard Leopold und dem damaligen Geschäftsführer, Peter Weinhäupl, zusammengestellt. Sie war für Wiener Museen vorbildlich, brachte Kunst, Handwerk, Literatur, Musik und Politik zusammen, integrierte auch zeitgenössische Kunst wie den Wiener Aktionismus, der sich ja stark auf Schiele und Kokoschka bezog. Die Präsentation umfasste das ganze vierte Stockwerk des Museums.

Ganze drei Geschoße umfasst ab heute die Neuaufstellung der Schwerpunktsammlung dieses Spezialmuseums – und spiegelt damit auch wieder, wie sich das Interesse an dieser für Österreich mittlerweile identitätsstiftenden Epoche international wie national gesteigert hat. Wobei Leopold-Direktor Hans-Peter Wipplinger, der hier sozusagen sein Gesinnungsstück abliefert, „Wien um 1900“ sehr weit fasst, so ist das ganze Erdgeschoß der weniger relevanten Kunst der Zwischenkriegszeit gewidmet.

Gesinnungsstück deswegen, weil man hier erkennt, was Wipplinger erstens mit dem Haus vorhat; zweitens, wie er mit der jüdischen Gemeinde umgeht, die immer wieder scharfe Kritik an der Leopold-Privatstiftung wegen des Umgangs mit Raubkunst geäußert hat. Das scheint vorbei, im Gegenteil sogar, die Integration von Judaika und sonstigen Exponaten v. a. aus der Sammlung des Vizepräsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Ariel Muzicant, ist auffällig. Er ist einer von fünfzig Dauerleihgebern, die Wipplinger aktivieren konnte, darunter auch Richard Grubman, der nach Ronald Lauder zweitgrößte US-Sammler von „Wien um 1900“, so Wipplinger.

Kampfansage an Belvedere und MAK

Wie positioniert sich also das Haus? Als kostbar funkelnde, ultimative Wien-um-1900-Wunderkammer, in seiner Integration von Schiele- und Klimt-Ikonen, Wiener-Werkstätten-Kunsthandwerk, (jüdischer) bürgerlicher Kulturgeschichte die reine Kampfansage an Belvedere, MAK und Wien-Museum. Letzteres hat leicht lachen, man unterstützte die Präsentation großzügig mit Leihgaben, denn die nächsten Jahre ist sowieso wegen Umbaus geschlossen. Der Rest darf staunen kommen.

Auffällig, neben der schieren Größe der ganzen Unternehmung (1300 Exponate!), ist die atmosphärische Inszenierung, die an die in den USA so beliebten Period-Rooms erinnert, die mithilfe von Rekonstruktionen versuchen, das Zeitgefühl anhand ganzer Raumausstattungen aus dem gewohnten Schwarz-Weiß in die für unsere Augen teils grelle Farbigkeit des Originaleindrucks zu holen. Das beginnt in einer Art Historismus-Boudoir aus tiefrotem Samt mit Hans Makart und der Ringstraßenzeit, mit den „Anachronismen Kakaniens“, dem Glanz, aber auch dem Elend der Bevölkerung; Archivalien in Vitrinen begleiten die ganze Schau. Es geht weiter mit dem frühen Klimt und mit dem Stimmungsimpressionismus, auch dem der Fotografie von Heinrich Kühn etwa. Die Kernzeit von Secessionismus und frühem Expressionismus beginnt mit einer „Wall of Fame“, an der man von der verhinderten Komponistin Alma Mahler bis zum Frauenfeind Otto Weininger die brisante Gemengelage in Wien um 1900 ablesen kann. Ganz am Ende der Ausstellung, zwei Stockwerke tiefer, wird ebenfalls eine Auflistung stehen – in einem letzten, schwarzen Raum werden die Namen und Lebensdaten aller Intellektuellen, Wissenschaftler und Künstler an Bildschirmen an uns vorbeiziehen, die vor den Nazis flüchten mussten, der „kulturelle Exodus“, 1993 abgefilmt von Peter Weibel.

Ein eigener Raum für Emilie Flöge

Dazwischen spielt sich in effektvollen Inszenierungen die Kulturgeschichte ab, die Österreich in der Welt so berühmt macht (neben den Habsburgern). Die Klimt-Sektion ist für Leopold-Verhältnisse beachtlich aufgefettet – mit zwei Landschaft-Dauerleihgaben und dem nachgebauten Klimt-Atelier aus der Sammlung von Ernst Ploil, der hier sehr vieles beigetragen hat. Schön auch immer wieder die Frauen – ein eigenes Kabinett ist der Emilie Flöge gewidmet, eine Vitrine den den Tanz reformierenden Wiesenthal-Schwestern, im wie ein schwarzes Schmuckkästchen gestalteten Wiener-Werkstätten-Saal kommt vieles aus Frauenhand.

Schön auch der Saal, der mittels großer Wandtapete und nachgetupftem Wandfries das Sanatorium Purkersdorf nachempfindet; hier haben auch die Maler Carl Moll und, gleichberechtigt, Broncia Koller-Pinell ihren großen Auftritt. Kolo Moser und Josef Hoffmann werden mit weiteren ganzen Einrichtungsensembles gewürdigt, etwa dem entzückenden Mädchenzimmer für Katharina Biach. Egon Schiele und Richard Gerstl erlebt man natürlich in weltweit unvergleichlicher Pracht und Intensität. Eine Art Sonderpräsentation erhält hier Komponist Arnold Schönberg als Maler, der nach der kommenden großen Kokoschka-Retrospektive diesem wird wieder weichen müssen. Ein beeindruckendes Defilee des frühen Expressionismus.

Beeindruckend ist auch das diplomatische Geschick Wipplingers bei den vielen Leihgebern, der Leopold-Familie und dem Expertengremium, das er sich an die Seite geholt hat. Es konnte ein wahres Feuerwerk an Kunst und Wissen zünden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2019)

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