Der Raketenbeschuss aus Versehen

Raketen auf Tel Aviv: Israel reagierte auf den jüngsten Beschuss mit Luftangriffen – vor allem auf militärische Anlagen der Hamas.
Raketen auf Tel Aviv: Israel reagierte auf den jüngsten Beschuss mit Luftangriffen – vor allem auf militärische Anlagen der Hamas.(c) REUTERS (AMIR COHEN)
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Die zwei Raketen wurden nicht absichtlich Richtung Tel Aviv abgefeuert – zu dem Schluss kommt auch das Militär. Eine Auseinandersetzung wollen Hamas und Jerusalem vermeiden.

Jerusalem. Offenbar aus Versehen gingen die beiden Raketen des Typs M-75 los, die am Donnerstagabend in Tel Aviv die Sirenen auslösten. Davon geht auch Israels Armee aus. Nichtsdestoweniger reagierte Israel in der Nacht zum Freitag mit rund 100 Luftangriffen auf zumeist militärische Anlagen der Hamas. Vier Menschen trugen bei den Angriffen leichte Verletzungen davon, wie das palästinensische Gesundheitsministerium berichtete.

Die vergleichsweise geringe Zahl der Verletzten im Gazastreifen zeigt, dass Israels Armee vorsichtig vorging, um Provokationen und eine schlimmere Konfrontation zu vermeiden. Denn Regierungschef Benjamin Netanjahu war Ende vergangenen Jahres in die Kritik von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman und anderen Koalitionspartnern geraten, die ihm vorwarfen, nicht konsequent genug gegen die islamistische Führung im Gazastreifen vorzugehen. Der Schlagabtausch endete damit, dass Israel der Regierung Katars erlaubte, regelmäßig große Bargeldsummen in den Gazastreifen bringen zu lassen, um die akute Finanznot zu lindern. Lieberman war daraufhin von seinem Amt zurückgetreten. „Gerade diese Woche genehmigte Israel die Zahlung von weiteren 20 Millionen Dollar an die Hamas“, kommentierte Lieberman den jüngsten Raketenbeschuss. Dieses „Schutzgeld“ werde Israel keine Ruhe bringen.

Von Kairo abhängig

Am Donnerstagnachmittag ist es zu heftigen Ausschreitungen bei Protesten in Gaza gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die hohen Steuergelder gekommen, die die Hamas den Palästinensern abverlangt. Demonstranten steckten Autoreifen in Brand und blockierten Straßenkreuzungen. Mehrere Menschen wurden mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.

Politische Analysten in Israel zogen zunächst eine Verbindung zwischen den Unruhen und den beiden Raketenangriffen, die Tel Aviv vollkommen unerwartet trafen. Raketenalarm gab es zum letzten Mal vor fünf Jahren. Israel derartig anzugreifen, um von internen Problemen abzulenken, gehört zu den Methoden der Hamas. Medienberichten zufolge soll es ägyptischen Vermittlern noch in der Nacht gelungen sein, die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand zu bewegen.

Die Hamas stritt ab, die Raketen aus iranischen Werkstätten auf Tel Aviv abgeschossen zu haben, und kündigte „Maßnahmen gegen die Verantwortlichen“ an. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung aus den letzten Kriegen, die ohne Sieger ausgingen, scheint weder die Hamas noch Israel an einer Wiederholung interessiert zu sein. Die Führung im Gazastreifen ringt aktuell mit schweren finanziellen Problemen. Eine erneute Konfrontation könnte die Hamas international noch mehr ins Abseits befördern. Die palästinensischen Islamisten sind in erster Linie auf den guten Willen Ägyptens angewiesen und wollen es sich mit Kairo nicht verderben. Der Grenzübergang Rafach, der den Gazastreifen mit Ägypten verbindet, ist seit Jahren für die meisten Palästinenser die einzige Möglichkeit, ins Ausland zu gelangen.

In Israel finden am 9. April vorgezogene Parlamentswahlen statt. Netanjahus gefährlichster Gegner, das Mittebündnis Blau-Weiß, tritt mit drei ehemaligen Generalstabschefs an, von denen einer kurzfristig auch Verteidigungsminister war. Netanjahus altes Argument, nur er als „Mr. Security“ könne Israels Bürger vor den Palästinensern und anderen Gefahren schützen, zieht nicht mehr. Gerade jetzt könnten ein heftiger Raketenbeschuss, gefallene Soldaten und möglicherweise verletzte oder tote Zivilisten auf israelischer Seite mehr Wähler auf Netanjahus Gegner setzen lassen. Benny Ganz, Chef der Liste Blau-Weiß, sprach von „schweren Angriffen“ auf Tel Aviv. Israels Reaktion müsse „deutlich und scharf“ sein, um die „Abschreckungskraft zu erneuern“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2019)

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