Jedem sein Nietzsche: Die Macht des Willens

„Es ist zu nett, ein bisschen zu herrschen“: Elisabeth Förster-Nietzsche.
„Es ist zu nett, ein bisschen zu herrschen“: Elisabeth Förster-Nietzsche.(c) ullstein bild / Ullstein Bild / (ullstein bild)
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Sie hat Dokumente ihres Bruders manipuliert und manches unterschlagen. Das Ziel: ihren Bruder, Friedrich Nietzsche, zu einer stabilen Marke der Philosophie zu machen. Elisabeth Förster-Nietzsche: der Historiker Ulrich Sieg über eine Schlüsselfigur des europäischen Geisteslebens.

Hätten sich die angesehenen Philosophen Alois Riehl und Hans Vaihinger durchgesetzt, dann wäre nicht Selma Lagerlöf 1909 die erste weibliche Nobelpreisträgerin für Literatur gewesen, sondern Elisabeth Förster, geborene Nietzsche – oder Elisabeth Förster-Nietzsche, den für die damalige Zeit ungewöhnlichen Doppelnamen hatte sie sich 1895 erstritten und später mit einem vorgestellten Dr. h. c. geschmückt. So erhielt der heute vergessene, seinerzeit als Starphilosoph gehandelte Rudolf Eucken den Preis – auch er zählte zur internationalen Prominenz, die im prächtigen, vom Jugendstilkünstler Henry van de Velde ausgestatteten Weimarer Nietzsche-Archiv in der Villa Silberblick der „Antigone des Nordens“, so der Spätsymbolist Gabriele D'Annunzio, huldigten.

Tatsächlich war die 1846 geborene Elisabeth keineswegs eine glamouröse Figur wie etwa ihre Konkurrentin Cosima Wagner – doch hat sie es verstanden, sich der Umwelt als charismatische persönliche und intellektuelle Vertraute Nietzsches zu präsentieren. Das Verständnis der Gedankenwelt ihres Bruders, dass sie sich zuschrieb, ist umstritten. Rudolf Steiner, zeitweiliger Mitarbeiter des Archivs und mit der Aufgabe betraut, sie in die Philosophie einzuführen, attestierte ihr „philosophische Ahnungslosigkeit“. Im Briefwechsel mit Harry Graf Kessler diskutierte sie zwar einzelne Fragen rund um den „Willen zur Macht“, aber generell waren es eher populäre Schlagworte wie „Übermensch“ oder „Ewige Wiederkunft des Gleichen“, die sie einbrachte. Auch sind briefliche Distanzierungen vom Denken des Bruders überliefert. Die Liste ihrer Veröffentlichungen ist schmal, der Erfolg – vor allem der der zweibändigen Biografie „Der junge“ beziehungsweise „Der einsame Nietzsche“ – war allerdings gigantisch.

Nach 1945 änderte sich ihr Image dramatisch, sie wurde als Fälscherin entlarvt und zum Sündenbock für die Nietzsche unterstellte Rolle als theoretischer Vorläufer des Nationalsozialismus. Mazzino Montanari, der Herausgeber der „Kritischen Gesamtausgabe“, sprach von einer notwendigen „Entschwesterung“ Nietzsches. Tatsächlich: Förster-Nietzsche hat Briefe und persönliche Dokumente manipuliert, also etwa umdatiert, Absender, Adressaten und Datierung geändert, manches unterschlagen und vor allem Fragmente willkürlich montiert.

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