Die nützlichen Idioten des Attentäters von Christchurch

Leitartikel Wer aus der Bluttat eines Faschisten in Neuseeland übertrieben Rückschlüsse auf einen „strukturellen Hass gegen den Islam“ zieht, ist auf dem Holzweg.

Vor dem Massenmord kommt die Entmenschlichung. Der rechtsextreme Attentäter von Christchurch sah keine Menschen aus Fleisch und Blut, keine Familienväter, keine hoffnungsvollen Jugendlichen, keine Individuen mit Seelen, als er mit einer Schnellfeuerwaffe das Feuer auf betende Muslime eröffnete. Er sah bloß Eindringlinge aus einer fremden Kultur. In einer Invasion gebe es keine Unschuldigen, wer das Land anderer Völker kolonisiere, sei schuldig, schrieb der 28-Jährige australische Terrorist in einem Manifest, in dem er auf 74 Seiten die Motive für seine monströse Bluttat darlegte.

Es ist ein hasserfülltes, verstörend-radikales Dokument eines Faschisten, der von fein-säuberlich getrennten „Rassen“ träumt und davon faselt, dass den „Weißen“ durch die „Massenimmigration fremder Völker“ mit hohen Geburtenraten ein „Genozid“ bevorstehe. Hier hat ein Zu-kurz-Gekommener mit Größenfantasien das neuerdings wieder grassierende „völkische Denken“ auf die Spitze getrieben, um als selbst ernannter Verteidiger des Abendlands zur blutigen Tat zu schreiten.

Hier hat jemand die martialischen Metaphern, mit denen populistische Alarmisten fast täglich in schrillem Tonfall vor einer „Invasion“ von Muslimen warnen, wörtlich genommen und deshalb zur Waffe gegriffen. Und das ausgerechnet in Neuseeland, wo gerade einmal 50.000 Muslime leben und nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. Absurd.

Nach einem dermaßen schockierenden Verbrechen wie in Christchurch ist es durchaus angebracht, über die Wortwahl nachzudenken, mit der Debatten über Migration und Islam geführt werden. Wer von muslimischen „Eindringlingen“ oder „Invasoren“ schreibt oder spricht, bedient automatisch Feindbilder. Kriegerische Sprachbilder, die gewohnheitsmäßig die Türkenbelagerung von 1683 evozieren, tragen sicher nicht zu einer Versachlichung von Diskussionen bei. Doch eine direkte Linie von einwanderungskritischen Rechtspopulisten und Konservativen zu einem Massenmörder nach Christchurch zu ziehen geht eindeutig zu weit.

Es ist einfach nur billig, wenn der Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig, den Genossen bei einer SPÖ-Klubtagung in Frauenkirchen zuruft, dass man in Neuseeland sehen könne, wohin der Hass führe, und dabei auch vielsagend auf die türkis-blaue Bundesregierung anspielt. Ebenso übertrieben erscheint es, wenn SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner angesichts eines Terroranschlags, den ein wahnhafter australischer Rassist verübt hat, einen „strukturellen Hass gegen den Islam“ feststellt.

Damit befördert sie die Islamophobie-Debatte, deren Funktion nicht zuletzt darin besteht, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam möglichst zu unterbinden. Auf dieser Klaviatur spielt seit Jahren schon der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, um sich unaufgefordert als Schutzherr der Muslime in Europa aufzuspielen. Nach der Tragödie in Christchurch war er auch gleich wieder zur Stelle, um die wachsende Islamfeindlichkeit zu beklagen. Die Weltsicht des Mörders breite sich im Westen aus „wie ein Krebsgeschwür“, meinte er. Ganz so schlimm ist es sicherlich nicht: Wer aus dem Verbrechen eines radikalen Rassisten solche verallgemeinernden Rückschlüsse zieht, hat offenbar ein gewisses Interesse daran, die Kulturkampfstimmung in Europa weiter anzuheizen.


Erklärtes Ziel des faschistischen Attentäters von Christchurch war es, weitere Gewalt anzufachen, den Graben zwischen autochthonen Europäern und muslimischen Zuwanderern zu vertiefen – und dabei maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. Deshalb filmte er seinen Anschlag mit einer Helmkamera. Deshalb hinterließ er sein Manifest. Sein Wahnsinn hatte Methode. Es sollten sich nun alle davor hüten, mit unüberlegten Reaktionen sein Geschäft zu betreiben.

Das Attentat bietet Gelegenheit, innezuhalten und zu erkennen, welche schrecklichen Folgen antimuslimische Hetze und völkische Ideen aus dem 19. Jahrhundert auch heute noch haben können. Dennoch ist nicht jeder gleich ein Rassist, Islam-Fresser und Wegbereiter des Terrorismus, der eine Begrenzung der Migration fordert.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2019)

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