Das syrische Dorf der Frauen

Blick in einen Teil des Dorfs der Frauen im kurdischen Nordsyrien.
Blick in einen Teil des Dorfs der Frauen im kurdischen Nordsyrien.(c) Sebastian Backhaus
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In der kriegsversehrten Region Nordsyrien gibt es eine kurdische Siedlung, wo ausschließlich Frauen und Kinder leben. Sie verdienen recht gut mit landwirtschaftlichen Produkten.

Der braune Erdboden ist von Lacken übersät. Reifenabdrücke sind tief in die Fahrrinne eingegraben. Wer zu Fuß unterwegs ist, kann bis zu den Knöcheln im Morast versinken. Selbst nach einigen warmen Sonnentagen sind die Spuren der letzten heftigen Regenschauer noch sichtbar.

„Wir müssen unbedingt Wege anlegen, sonst gehen wir eines Tages im Matsch unter“, sagt Nudschin lachend. „Bisher hatten wir echt keine Zeit dafür.“ Mit einer kurzen Handbewegung verweist die junge Frau, die aus Deutschland stammt, auf die 30 Wohnhäuser. „Wir haben alle selbst aus Lehm gebaut“, betont die freiwillige Helferin aus dem Ruhrpott.

„Es gibt hier noch eine Bäckerei, einen Verkaufsladen, ein Gesundheitshaus, ein Bildungszentrum, natürlich auch ein Küchengebäude, in dem wir gemeinsam essen, und dann eine eigene Schule für die Kinder.“ Dann spricht Nudschin über den Garten, der in der Mitte der Anlage liegt. Dort wachsen Petersilie, Melonen, Tomaten und Auberginen. Ganz neu gepflanzt wurden Marillen-, Pfirsich- und Granatapfelbäume. „Das ist Jinwar, unser Dorf für Frauen“, resümiert die 27-Jährige und zupft an ihrem Haarzopf. „Zuerst war es nur ein verwegener Traum, jetzt ist er Wirklichkeit.“

Klingt wie eine naive Utopie. Jinwar steht auch in großen, bunten Buchstaben am eisernen Eingangstor des Dorfs, das idyllischer nicht liegen könnte: Umgeben von grünenden Feldern, mitten auf dem Land in der Nähe der nordsyrischen Stadt Darbasyiha. „Jin“ bedeutet in kurdischer Sprache Frau und „war“ so viel wie Ort, Heimat und Land. In Jinwar leben und arbeiten ausschließlich Frauen mit ihren Kindern – und das nach demokratischen und ökologischen Prinzipien, wie es heißt. „Jinwar ermöglicht ein freiheitliches, selbstbestimmtes Leben der Frauen“, behauptet Nudschin. „Ohne die Zwänge der Gesellschaft.“ Das klingt wie eine dieser weltverbesserischen Utopien vom idealen Zusammenleben, wie sie in westlichen Ländern seit den 1960er-Jahren immer wieder Konjunktur haben. Ausgerechnet in Syrien mit seiner patriarchalischen Gesellschaft würde man das nicht vermuten. Aber die Revolution, die die kurdische Minderheit in Nordsyrien initiiert hat, ermöglicht ein solches Projekt. Gleichberechtigung ist ein wichtiger Bestandteil des neuen politischen Systems der Region zwischen Euphrat und irakischer Grenze. Seit 2014 basiert es auf Selbstverwaltung. Die USA unterstützen diese nordsyrische Regierung, weil sie sich als Partner im Kampf gegen den IS erwiesen hat. Heute sind die letzten Kämpfer der Terrormiliz in der Kleinstadt Baghuz eingekesselt.

„Wir wissen natürlich, dass wir angesichts der konservativen Gesellschaft nichts übers Knie brechen können“, sagt Nudschin. „Wir können nur langsam, Schritt für Schritt vorwärts gehen.“ Die Einwohner der Umgebung seien von Anfang an informiert worden. Viele von ihnen hätten bereitwillig beim Bau des Frauendorfes mitgeholfen. „Sie haben alte Steine, ausrangierte Schulbänke, Holzstämme und Maschinen zur Verfügung gestellt.“

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