Die „Thema“-Redaktion hat nachgefragt, was aus Schülern einer NMS und eines Gymnasiums geworden ist, die sie vor fünf Jahren zusammengebracht hat. Das Fazit ist durchwachsen.
Nein, das österreichische Schulsystem und die Eltern kommen nicht gut weg in der „Thema – spezial“-Sendung „Schule fürs Leben – fünf Jahre danach“ am Montagabend im ORF. Vor fünf Jahren hat die Sendung in dem Experiment „Schule fürs Leben“ Kinder aus einer Neuen Mittelschule, in der fast alle Migrationshintergrund haben, mit Kindern aus einem Gymnasium zusammengebracht. Ein halbes Jahr lang sollten sie voneinander lernen. Nun haben Christoph Feurstein und Oliver Rubenthaler die inzwischen 19-Jährigen wieder besucht. Die ehemaligen Gymnasiasten studieren. Und die Kinder aus der „Problemschule“? Sie suchen nach wie vor nach einem Platz in der Gesellschaft.
Da ist etwa Asip, der aus Afghanistan stammt. Er ist jetzt Fitnesstrainer, abends kellnert er. Wenn er eine Freundin hätte, würde er damit die Ehre der Familie verletzten. Da ist Sam, ein guter Schüler, der gemobbt wurde, aber jetzt eine HAK besucht, Freunde hat und sich politisch engagiert. Und Naaba, die mit 18 geheiratet hat, um ihren Eltern zu entkommen. Sie habe Glück gehabt mit ihrem Mann, sagt sie. Das Kopftuch hat sie abgelegt, nun sucht sie einen Job.
Enormer Druck von den Eltern
Was sie alle eint: der Druck von den Eltern ist enorm. Aus ihnen solle was werden, das hören sie immer wieder. Allein, es fehlen die Mittel. Die Eltern können Defizite des Schulsystems nicht ausgleichen. Gemeinsam Hausaufgaben machen? Dafür reicht das Deutsch der Eltern meist nicht. Nachhilfe? Zu teuer. Integration? Ja, aber ohne die altmodischen Moralvorstellungen zu verletzen.
Bei Naaba ist der Druck so groß, dass sie in der Schule scheitert. „Ich lerne falsch“, meint sie. Als sie an eine andere Schule kommt, die Rudolf Steiner-Schule, blüht sie auf. Nach eineinhalb Jahren nehmen ihre Eltern sie wieder raus – die Freiheit der Waldorfschule passt nicht zu den strengen Prinzipien von Naabas Elternhaus. Was für eine verpasste Chance für die kluge und selbstbewusste junge Frau!
Ein „Maulkorb“ und mehr Freiheit
Verändert hat sich auch die NMS, in die die Kinder gegangen sind, die Gassergasse im fünften Bezirk. Sie wurde von „Thema“ nicht zufällig ausgesucht, sondern weil sie zuvor Schlagzeilen gemacht hat: Für ein Drittel ihrer Schüler führe der weitere Weg in AMS, hatte Direktorin Andrea Walach 2014 gesagt. Vom Bildungministerium bekam sie daraufhin einen „Maulkorb“ – und mehr Freiheit, ihre Schule so zu gestalten, wie sie das für richtig hält: kleinere Einheiten, mehr Projekttage. Was hat das gebracht, wird sie in „Thema“ gefragt. Die Zahl ihrer Schüler, die nach der Pflichtschule beim AMS lande, gehe gegen null, erzählt sie.
Ins gleiche Horn stößt Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann von der Uni Wien. Man brauche keine große Schulreform, meint er. „Wir brauchen die Freiheit, dass sich eine Schule so gestalten kann, dass sie den Kindern und Jugendlichen, die nun mal da sind, gerecht wird.“ Auch NMS-Lehrerin Susanne Wiesinger, die ein Buch über den „Kulturkampf im Klassenzimmer“ geschrieben hat, kommt zu Wort und erneuert ihre Kritik am politischen Islam, der die Integration behindere.
Schule und Integration – das ist ein komplexes Thema. Die Sendung schneidet viel an, wirft Fragen auf, wie man sie aus jeder Bildungsdebatte kennt: Wieso dauerte eine Unterrichtseinheit immer noch 50 Minuten, wie vor 50 Jahren? Warum werden etwa Fächer wie Chemie, Physik und Mathematik getrennt voneinander – auch inhaltlich – unterrichtet? Wieso ist es immer noch so, dass Kinder aus ärmeren Familie in der NMS landen und die Kinder, die viel Unterstützung von daheim haben, im Gymnasium?
Die wahren Probleme sitzen oft zu Hause
Die Antworten darauf würden die dreiviertelstündige Sendung wohl sprengen. Was bleibt, ist der Eindruck, dass es engagierte Pädagoginnen und Pädagogen gibt, die in einem viel zu starren System arbeiten. Dass zu viel Geld an der falschen Stelle ausgegeben wird. Und die wahren Probleme der Kinder oft zu Hause sitzen und eigentlich nur das Beste für den Nachwuchs wollen. Die porträtierten Jugendlichen machen ihren Weg, wenn auch über Umwege. Sie alle wurden 2014 interviewt – ein Jahr später kamen viele Flüchtlinge. Wie wird es ihnen ergehen?