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Solange Knowles' neues Album: Wachträume aus Black America

Solange Knowles bei einem KOnzert 2017.
Solange Knowles bei einem KOnzert 2017.(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Wie macht man nach einem politischen Meisterwerk weiter? Solange Knowles, die Schwester von Beyonce, fordert – und begeistert – mit psychedelischen R'n'B-Meditationen.

Das erste Stück des neuen Albums der US-Künstlerin Solange Knowles dreht sich hauptsächlich um eine Textzeile. Solange wiederholt sie sie so oft, bis sie zum Mantra wird: „I saw things I imagined”, singt sie immer wieder, mit wechselnder Stimmhöhe und Betonung. Zur Musik, die im ständigen Fluss ist, ohne Refrain, ohne Höhepunkt. Doch allein die kleinen, permanenten Verschiebungen im Tempo und in den Melodien, im Perlen des E-Pianos und im Schwellen der Keyboards fesseln. „Things I Imagined“ wirkt wie eine Beschwörung, wie ein Wachtraum, ja wie das Eintauchen in eine eigene Welt.

Dieses sympathisch Skizzenhafte zieht sich durch die restlichen Songs ihres hervorragenden fünften Albums „When I Get Home“. Und unterscheidet es deutlich vom nahezu perfekten Vorgänger aus 2016, „A Seat at the Table“, das sie aus dem Schatten ihrer Schwester Beyonce treten ließ. Darauf war sie sehr konkret, musikalisch wie inhaltlich: Fass meine Haare nicht an! („Don't touch my hair“). Du hast das Recht, wütend zu sein („Mad“). Oder: Ich bin erschöpft von dieser Welt („Weary“). Vor dem Hintergrund steigender Polizeigewalt gegen Afroamerikaner – und am Vorabend der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten – erzählte Solange von ihren Kämpfen gegen strukturellen Rassismus und Sexismus. Soul, Disco und R'n'B zu packenden Songs vereinend, wurde es zum Meisterwerk, einem politischen Manifest, das die Black Community feierte, ihr Mut gab.

Drei Jahre später versucht Solange erst gar nicht die unverändert existierenden Bürden zu schultern. Statt noch wütender zu sein, gibt sie sich gelassen. „When I Get Home“ wirkt wie eine therapeutische, bisweilen psychedelische Meditation, die stärken soll. Politische Botschaften findet man höchstens zwischen den Zeilen. Die knapp gehaltenen Songtexte bewegen sich in Schleifen, passend zum repetitiven Groove der Musik. „We were rollin' up the street“, singt im Falsett im atmosphärischen „Down with the Clique“, einem Song über das Heranwachsen. „We were down with ya, down with ya / down, down with ya, down with ya“, fährt sie fort. Die Wörter betont sie immer wieder neu, reiht sie anders, bis ein hypnotischer, perkussiver Fluss entsteht.

Die abstrakte Schönheit von „When I Get Home“ erschließt sich so nur langsam. Doch wer sich darauf einlässt, begegnet einer originären Künstlerin, die ganz selbstbewusst ein neues Kapitel in ihrem Werk aufschlägt.

„I grew up a little girl with dreams, dreams, dreams“, singt sie wie in Trance im Stück „Dreams“, bis ihre Stimme echobeladen vibriert. Zu einem sanft stolpernden Beat und warmen Keyboard-Klängen fährt sie fort: „Dreams, they come a long way - not today“. Ist es ein Ratschlag, geduldig zu sein, bis sich Träume endlich erfüllen – oder Ausdruck von Resignation? Solange bietet auf „When I Get Home“ keine klaren Antworten. In der Frage, wo das zu Hause aus dem Albumtitel ist, bleibt sie mehrdeutig. Zunächst ist es ihre Geburtsstadt Houston. Songs sind nicht nur nach Straßen der texanischen Metropole benannt, sondern gespickt mit liebevollen Referenzen an deren Black Community. In „Way to the show“ etwa singt sie über „candy paint“, einer Farbtechnik, die sogenannte „slab cars“ (slow, low, bangin') zum Glitzern bringt. In „My Skin My Logo“ schwärmt sie vom extravaganten Zahnschmuck („that grill“), den Rapper aus Houston populär gemacht haben.

Houstons Hip-Hop-Kultur preist sie auch mit heftigem Einsatz der dort wurzelnden „Chopped-and-screwed“-Technik. Deren verschwommene, entschleunigte Ästhetik prägt viele der zwischen R'n'B, Jazz und Soul mäandernden Songs, allen voran das herausragende „Almeda“: „Black skin, black braids, black waves, black days“, singt sie zur zaghaft ratternden Drum-Machine, zu zerfließenden Keyboard-Chords, „these are black-owned things“. In afrofuturistischer Tradition lassen Songs wie diese – gemeinsam mit einem 30-minütigem Film zum Album – das „Zuhause“ auch losgelöst vom Geografischen erscheinen: als Bewusstseinszustand, als Idee einer Gesellschaft ohne Diskriminierung, als ein Black America ohne die tragischen Fesseln der Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2019)

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