Die uns beruhigende Politik, die gerade läuft

(C) Peter Kufner
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Passen wir uns der Mehrheit an. Zur Sicherheit, aus Vorsicht und besonders damit wir nicht zur Minderheit gehören. Von Verboten und Pflichten der Caring-Mom-Gesellschaft. Ein kleiner Ratgeber samt Ausblick.

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Die große soziale Veränderung unserer Zeit ist, dass die Menschen geradezu eine Leidenschaft dafür entwickelt haben, sich zu Deppen zu machen. Wir dürfen das als sonderbare demokratische Errungenschaft verbuchen. Früher nämlich wurde man gegen seinen Wunsch und Willen zum Deppen – infolge eines dummen Zufalls, eines Missgeschicks, eines angeborenen Außenseitertums oder wegen widriger Umstände.

Heute entscheiden wir uns dafür, Deppen zu sein. Wir fühlen uns durchaus gut dabei, weil eins mit der uns umgebenden Mehrheit. Ich denke gar nicht zuerst an die freiwillige Teilnahme bei TV-Sendungen wie „Bauer sucht Frau“, „Barbara Karlich-Show“, „Deutschland sucht den Superstar“ oder dergleichen, die den gemeinsamen Nenner haben, dass die Beteiligten sich für privilegiert halten, tatsächlich aber auf ihre Kosten Programm gemacht wird. Zuerst denke ich an eine größere Show – den heißlaufenden gesellschaftlichen Megatrend der Caring-Mom-Gesellschaft. Den pickelig abstoßenden Big-Brother wollen wir nicht, klar, stattdessen ein freundliches Gesicht, eine uns hütende, schützende, und nur den fremden Kindern die Ohren langziehende Mami-Gesellschaft.

Caring-Mom-Gesellschaft

Mami kann zwar auch nichts tun gegen die böse Globalisierung, ist auch hilflos gegenüber der Herrschaft der Konzerne, der uns ängstigenden Beschleunigung unserer Welt, aber umso wichtiger ist doch, dass sie unser kleines Wohnzimmer, unsere Stadt, unseren Staat, so einrichtet und dekoriert und darin mit zarter Hand die Vorhänge zuzieht, dass wir uns trotzdem wohl fühlen.

Fast alle in Europa machen das dieser Tage so, da wollen wir nicht die Angeschmierten sein, nicht die einzigen, die blauäugig auf gut Freund machen mit Gott und der Welt.

Wir hören auf unsere Mami und unsere Mami auf uns. Sie kennt unsere Bedürfnisse und Ängste. Weil ihr Umfragen zeigen, dass wir mehrheitlich es so wollen, geht sie neuerdings (im Rahmen ihrer besten Verfassung und fein geschminkt) planvoll und gezielt auf Minderheiten los.

Das stärkt unser Selbstbewusstsein, lässt uns wieder glauben an uns, an Recht und Ordnung, an Sicherheit und daran, dass endlich was geschieht. Den ausländischen Pflegerinnen zum Beispiel, die unsere Alten waschen, füttern und ihnen den Hintern auswischen, wird von Mami aus Gründen der Gerechtigkeit das Kindergeld gekürzt für ihre Fratzen im billigen Ausland.

Schmusen. Alkohol trinken.

Oder was anderes: Gemütlich in der Wiese sitzen und gemeinsam entspannen in öffentlichen Parks wird von Mami jetzt herumlungern genannt und verboten. Freilich nur, wenn es irgendwelche Rotzlöffel tun. Wenn wir herumlungern, drückt Mami sicher ein Auge zu.

Was wir uns sonst noch verbitten: Kopftuchtragen zum Beispiel. Betteln. Den Park-Rasen betreten. Schmusen. Alkohol trinken auf öffentlichen Plätzen. Was wir hingegen wollen, ist etwa die Sturzhelmpflicht und die Radlfahrer-Nummerntafelpflicht und die Impfpflicht. Ein komplettes Rauchverbot in Lokalen wollen wir sowieso, auch wenn wir in die Lokale, wo wir das Verbot wollen, gar nicht wollen. Essverbot in U-Bahnen wollen wir auch. Ist ja echt grauslich – Essen!

Apropos: Höhere Krankenkassenbeiträge für unbelehrbar Dicke finden wir im Grunde schon vernünftig. Und dass gefährliche Leute eingesperrt werden, bevor sie womöglich was Böses anstellen. Die Sozialhilfe kürzen für Langschläfer, Schmarotzer und besonders für Flüchtlinge – war sowieso höchste Zeit. Die können sich jetzt keine eigene Wohnung mehr leisten, müssen samt Kindern halt ins Asylantenheim, mein Gott na, soll denen nix Schlimmeres passieren.

Aufmüpfig, lästig und frech!

Unter uns gesagt, von Minderheiten halten wir Mehrheit ja generell nicht viel. Wenn wir uns ehrlich sind und einmal ganz offen reden: Minderheiten sind doch immer nur eins: aufmüpfig. Und lästig! Und frech vielleicht auch noch dazu! Minderheitenfreundliche Politik, wenn ich das schön höre! Mehrheitsfreundlich muss Politik sein und Punkt. Wurde echt Zeit, dass das einmal kapiert wird!

Was? Die Gefahr ist, dass man selbst einmal zu irgendeiner Minderheit gehören könnte? Sich mit den Verboten und Schikanen und Präventivmaßnahmen präventiv selbst zum Deppen macht, an seiner eigenen Beschränktheit baut, eine intolerante, griesgrämige, ängstliche Gesellschaft bewirkt und von der Mehrheit demnächst selbst einmal betoniert wird?

Aber geh, wieso schwarzmalen? Uns anständige, ordentliche Bürger betrifft das doch nicht, oder hast du vielleicht schon schlechte Erfahrungen gemacht? Bist vielleicht gar evangelisch? Oder homo, ha-ha? Behindert ein bisserl? Tierschützer? Demonstrant? Depressiv? Muslimisch? Sozial auffällig? Jüdisch? Alleinerzieherin? Fühlst dich zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, aktiv, passiv, zu frau, zu mann, zu links, zu rechts?

Hör mir auf mit den Lehrern!

Ja, sicher; sicher ist es gut, dass wir zur Mehrheit gehören. Und freilich muss man aufpassen und sich anpassen können an die Mehrheit damit man nicht plötzlich zur Minderheit wird. Eh klar müssen wir achtgeben, dass wir nicht plötzlich auf der falschen Seite stehen durch eine ungeschickliche Meinung, ein Missgeschick oder blöde Umstände.

Die meisten Jungen zum Beispiel, die sollten sich schon mehr zusammenreißen. Und die meisten Alten auch, die immer nur lamentieren und Arztkosten verursachen. Die Lehrer, hör mir auf mit den Lehrern! Die Beamten, um Himmels willen! Oder die Experten! Die Studenten! Aber die kriegen wir schon auch noch in den Griff, wirst sehen.

Und solche Texte übrigens, aber da sind wir uns ohnehin einig, gehören, nein, nicht gerade verboten, aber kreativ unterbunden, die sind ja wirklich nichts wert, nur ein Ärgernis, eine unnötige Gefährdung der öffentlichen Meinung.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der AUTOR


Thomas Sautner

(* 1970 in Gmünd) ist Schriftsteller und Essayist. Er wuchs im niederösterreichischen Waldviertel nahe der tschechischen Grenze auf und arbeitete nach dem Studium der Politikwissenschaften und der Zeitgeschichte in Wien zunächst als Journalist. Er schreibt seit 2006 Romane. Aus seinem jüngsten „Großmutters Haus“ (Picus Verlag, 2019) liest er u. a. am 23. März auf der Leipziger Buchmesse, am 26. März in der Wiener Buchhandlung Seeseiten und am 29. März in der Stadtbücherei Zwettl.

www.thomas-sautner.at [ Edlhofer]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2019)

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