Jetzt entdeckt Thomas Gottschalk das Lesen

Thomas Gottschalk und der Schriftzug für seine neue Literatursendung "Gottschalk liest?" im Bayerischen Rundfunk.
Thomas Gottschalk und der Schriftzug für seine neue Literatursendung "Gottschalk liest?" im Bayerischen Rundfunk. imago/Overstreet
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Thomas Gottschalk spricht im Bayerischen Rundfunk über Bücher und macht doch vor allem das, was er am besten kann: Über sich selbst reden. Nur bei Vea Kaiser ist er einmal schmähstad.

Ach, Büchersendungen! Sie sind noch immer nicht ausgestorben, werden immer wieder neu erfunden, sind aber selten so erfolgreich und langlebig wie das "Literarische Quartett". (Apropos, was wurde eigentlich aus der Neuauflage im ZDF, schon lange nichts mehr davon gehört?) Irgendwie können TV-Sender, öffentlich-rechtliche zumeist, nicht an diesem Genre vorbeigehen, ohne zu denken: Lass es uns nochmal versuchen.

Ach, Thomas Gottschalk! Auch er kann es nicht lassen. Seit dem eher unfreiwilligen Aus seiner Lebenssendung “Wetten, dass..?” vor auch schon wieder fünf Jahren kommt er alle paar Monate mit einer neuen Show ins Fernsehen zurück; mal kleiner, mal größer, mal im Vorabend, mal im Hauptabend, mal in der ARD, mal im ZDF, mal auf Sat.1, sehr oft auf RTL. Und jetzt präsentiert er spätabends im Bayerischen Rundfunk in der Sendung "Gottschalk liest?" Bücher. Wobei, nein, eigentlich tut Gottschalk, was er immer tut: Er redet vor sich hin und zwar möglichst oft über sich. Dass der Schriftzug seiner kleinen neuen Sendung mit dem hintangestellten Fragezeichen so frappant an das Logo von “Wetten, dass..?” erinnert, kann nur Absicht sein. Oder kann Gottschalk selbst nicht ganz glauben, dass er jetzt wirklich eine Büchersendung moderiert? Es dauert dann auch wirklich keine zwei Minuten, bis er "Wetten, dass..?" erwähnt und wieder über sich spricht: Die Sendung werde in Augsburg aufgezeichnet, weil es eine in der Literatur häufig erwähnte Stadt sei, aber auch, weil ihm ausgerechnet hier einst Frank Elstner die Samstagabendshow übertragen habe, erzählt er.

Was folgt, ist harmloses Geplauder über Bücher mit vier geladenen Gästen. Gottschalk moderiert wie immer, macht glatte Komplimente, hört nie ganz genau hin, hat offenbar auch nicht ganz genau gelesen: Einen Protagonisten aus Sarah Kuttners neuem Buch "Kurt" umschreibt er als "total besoffen" - Kuttner korrigiert ihn: "Er ist verkatert. Das ist eine völlig andere Hausnummer". Mit dem ehemaligen Strafverteidiger Ferdinand von Schirach spricht er über Melancholie und Witz seiner neuen Erzählungen im Band "Kaffee und Zigaretten" und lobt ihn überschwänglich für seine sprachliche Präzision und die lustigen Passagen. Schirach antwortet trocken: "Das ist das größte Kompliment, das ich jemals bekommen habe. Dass Gottschalk mir sagt, es ist lustig." Später erzählt er von einer Thomas-Gottschalk-Suite im "Bayerischen Hof" in München und sagt: "Dort sieht es genauso aus, wie Sie heute angezogen sind.“

Vea Kaiser: "Das Lesen hat kein Problem"

Im Gespräch mit der österreichischen Autorin Vea Kaiser über ihren neuen Familienroman "Rückwärtswalzer" zeigt Gottschalk immerhin, dass aus Schulzeiten noch etwas hängen geblieben ist. Er kann fehlerfrei die berühmteste Stelle aus Ovids "Metamorphosen" fortsetzen, zu der Kaiser ansetzt: "Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo, sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat."

Dass Gottschalk banale Fragen auf Lager hat (an Kuttner etwa: "Muss man als Autor Trauer selbst erfahren haben, um sie zu beschreiben?"), ist nicht weiter verwunderlich. Dass er mehrmals bekennt, dank der Sendung nun endlich zum Lesen zu kommen, schon eher: "Der Spaß am Lesen kommt wirklich mit jedem Buch, das man vorgelegt bekommt." Befremdlich ist auch, dass er den legendären Fernsehkritiker und seinen "Buddy" Marcel Reich-Ranicki am Ende der Sendung nachäfft, als er feststellt, Literatur sei letzten Endes "immer Unterhaltung" (Ist sie natürlich nicht immer.)

Wirklich ärgerlich ist aber Gottschalks kulturpessimistische Schlussbemerkung, die von echter Ahnungslosigkeit zeugt: Er habe als Kind noch Gustav Schwabs altertümliche Sagen gelesen und "fand Wilhelm Busch lustig", seine Kinder aber würden nur mehr fragen "gibt’s da eine App für?”. (Obwohl die auch schon Mitte 30 sind.) "Da geht etwas ein bisschen den Bach runter", sagt er. Immerhin springt Vea Kaiser für die von ihm flapsig zu Lesemuffeln abgestempelten Kinder in die Bresche und erklärt Gottschalk auf, dass auch heute viele Jugendliche "Mega-Wälzer" lesen: "Kinder haben keine Angst vor den Büchern, die lieben Lesen. Das Lesen an sich hat kein Problem. Es ist wie mit der Liebe, ich kann doch niemanden zwingen, durch Zwangsheirat glücklich zu werden. Man muss die richtige Person finden, um sich zu verlieben. So ist das mit Büchern auch." Und dann ist Gottschalk für einen Moment still.

P.S.: Nur falls es wer wissen will: Natürlich verlor Thomas Gottschalk kein Wort zur tags zuvor bekannt gewordenen Trennung von seiner Ehefrau (nach 42 Jahren). Die Sendung wurde aber auch schon vor einiger Zeit aufgenommen. 

“Gottschalk liest?” soll vier Mal im Jahr im BR laufen.
Hier gehts zum Nachsehen in die Mediathek




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