Fliegt Orbáns Fidesz heute aus der EVP?

Können sich Viktor Orbán und die EVP noch einmal zusammenraufen?
Können sich Viktor Orbán und die EVP noch einmal zusammenraufen?APA/AFP/FREDERICK FLORIN
  • Drucken

Die konservative Fraktion im EU-Parlament will heute über die Mitgliedschaft des ungarischen Fidesz entscheiden. Das Verhältnis ist seit langem angekratzt, doch es gibt Gründe für eine weitere Zusammenarbeit.

Die Europäische Volkspartei ist die mächtigste Gruppe im Europaparlament - und trägt seit Wochen einen offenen Streit mit der Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán aus. Am heutigen Mittwoch könnte dessen rechtsnationale Fidesz-Partei aus dem Parteienverbund, dem auch ÖVP, CDU und CSU angehören, ausgeschlossen werden.

Warum stehen der Fidesz und die Orbán-Regierung in der Kritik?

Kritiker werfen Orbán seit Jahren vor, Demokratie und Rechtsstaat auszuhöhlen. Die Organisation Freedom House stuft das Land nur noch als "teilweise frei" ein. Die EU-Kommission leitete mehrere Verfahren wegen mutmaßlicher Verletzung von EU-Recht ein. Und das Europaparlament startete ein Strafverfahren wegen der mutmaßlichen Bedrohung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Diese Entwicklung bewerten Teile der EVP schon länger als bedenklich.

Warum steht die EVP-Mitgliedschaft des Fidesz jetzt erst infrage?

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat eine Plakat-Kampagne der ungarischen Regierung, mit der Orbán das Land überzogen hatte. Auf den Plakaten wurden EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der US-Milliardär George Soros als Förderer illegaler Migration diffamiert. Daraufhin forderten 13 Parteien aus der Gruppe der EVP den Rauswurf oder die zeitweise Suspendierung des Fidesz. Orbán setzte noch eins drauf und beschimpfte die Kritiker als "nützliche Idioten", die das Geschäft der Linken und Liberalen betrieben.

Wie kann Orbán einen Rauswurf noch verhindern?

EVP-Fraktionschef Manfred Weber hatte zuletzt drei Bedingungen aufgestellt, um zumindest weiter im Gespräch zu bleiben: ein Ende der Plakat-Kampagne, eine Entschuldigung an die anderen EVP-Parteien und Sicherheit für die Universität CEU in Budapest. Zudem müsse die CEU wieder amerikanische Diplome in Budapest ausstellen können. Die CEU war im Dezember unter Druck der ungarischen Regierung nach 26 Jahren Tätigkeit in Budapest nach Wien umgezogen.

Wie hat Orbán auf den drohenden Rauswurf reagiert?

Im Zickzackkurs. Wegen der "nützlichen Idioten" hat er um Entschuldigung gebeten, die Anti-Juncker-Kampagne hat er vorerst eingestellt. In Sachen CEU hat er öffentlich noch kein Entgegenkommen gezeigt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am Dienstag jedoch, in der Sache habe es ein positives Signal von Orbán gegeben.

Die von ihm kontrollierten Medien ließ Orbán zuletzt das Ausscheiden des Fidesz aus der EVP als folgerichtig und wünschenswert darstellen. Am Dienstag sprach der Leitartikel des Orbán-Sprachrohrs "Magyar Nemzet" der EVP die Zukunftsfähigkeit ab. Tenor: Ungarns Politik werde sich von niemandem reinreden lassen, schon gar nicht von Bruderparteien, die "gar keine Brüder" sind.

Worüber wird an diesem Mittwoch abgestimmt? Und wer stimmt ab?

Über einen möglichen Ausschluss entscheidet der EVP-Vorstand. Er setzt sich aus rund 260 Delegierten zusammen. Aus Österreich sind insgesamt sechs Delegierte der ÖVP vertreten. Allerdings wird Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz an der Sitzung des Vorstands am Mittwoch nicht teilnehmen. Er lässt sich laut einem ÖVP-Sprecher von ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer vertreten. Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament und -Spitzenkandidat bei der EU-Wahl im Mai, Othmar Karas, kommt ebenfalls nicht zur EVP-Vorstandssitzung. Die ÖVP und Kurz haben sich den Ausschlussforderungen bisher nicht angeschlossen, Karas befürwortet eine Suspendierung. Die deutsche CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schlägt ebenfalls ein Einfrieren der EVP-Mitgliedschaft vor. 

Worüber genau abgestimmt wird, war bis zuletzt offen. EVP-Präsident Joseph Daul sagte bei einer Fraktionssitzung in der vergangenen Woche nur zu, dass abgestimmt werde. Er wird am Mittwoch wohl einen Vorschlag vorlegen, von dem er glaubt, dass er eine Mehrheit findet.

Wie könnte dieser Vorschlag aussehen?

Ausschluss, Suspendierung, gar nichts - diese Optionen stehen im Raum. Am Dienstag verdichteten sich allerdings die Zeichen, dass die Fidesz-Mitgliedschaft zeitweise ausgesetzt werden könnte und Bedingungen an die Partei gestellt werden könnten. Das Ergebnis wird allerdings auch von Orbán und seinem Entgegenkommen bis zur Abstimmung abhängen.

Welche Folgen könnte ein Rauswurf der Fidesz-Partei haben?

Die langfristigen Folgen sind kaum absehbar. Kurzfristig hätte die EVP-Gruppe im Parlament nach der Europawahl ohne den Fidesz allerdings rund ein Dutzend Mandatare weniger. Auch andere Parteien könnten die EVP wegen des Orbán-Ausschlusses verlassen. Zusammen mit dem Fidesz könnten sie sich der EU-skeptischen EKR-Parteienfamilie anschließen, in der etwa die rechtsnationale polnische Regierungspartei Pis ist.

Einige befürchten, dass ein Orbán-Rauswurf langfristig die Ost-West-Spaltung Europas vorantreiben könnte. Der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary verweist zudem auf das Beispiel der britischen Tories, die die EVP vor einigen Jahren verlassen haben. Auch das habe zum Brexit beigetragen. "Die EVP könnte sich das Leben sehr leicht machen und den Fidesz rausschmeißen. Damit wäre aber niemandem geholfen", sagt Caspary. Er sei dafür, bis zuletzt mit Orbán im Gespräch zu bleiben und auf ein Entgegenkommen zu setzen.

Welche Rolle spielt CSU-Politiker und EVP-Fraktionschef Manfred Weber?

Weber tritt für die EVP als Spitzenkandidat bei der Europawahl Ende Mai an - und steckt somit in der Zwickmühle. Einerseits kann er die Fidesz-Stimmen gut gebrauchen, wenn er im Herbst Nachfolger von EU-Kommissionschef Juncker werden will. Andererseits bietet das Thema Angriffsfläche für die politische Konkurrenz. Immer wieder muss er sich bei seinen Terminen in Europa für den Fidesz rechtfertigen.

(APA/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

Orbán-Partei Fidesz droht mit Austritt aus EVP

Die Regierungspartei will sich eine Suspendierung durch die Europäische Volkspartei nicht gefallen lassen. Heute entscheidet der EVP-Vorstand über den Umgang mit den Rechtsnationalisten.
Victor Orbán.
Europa

Schicksalstag für Viktor Orbán

Der Ausschluss der ungarischen Fidesz beschäftigt die Parteispitze. Dabei gehe es um Glaubwürdigkeit, erklärt der Osteuropahistoriker Oliver Schmitt.
Bundeskanzler Sebastian Kurz reist nicht selbst zum EVP-Vorstand nach Brüssel.
Europa

Kurz für Einfrieren der EVP-Mitgliedschaft von Fidesz

Die ÖVP wird einen entsprechenden Vorschlag von EVP-Fraktionschef Weber unterstützen. FPÖ-Chef Strache erneuert sein Angebot an Fidesz, zur neuen Rechtsfraktion zu wechseln.
Sebastian Kurz (re.) versuchte zu Viktor Orbán stets ein Gesprächsverhältnis aufrecht zu erhalten.
Europa

Kurz fährt nicht selbst zu EVP-Sitzung über möglichen Fidesz-Ausschluss

Wegen Terminen in Wien bleibt der Bundeskanzler in Wien. Statt ihm fährt ÖVP-Generalsekretär Nehammer zum EVP-Vorstand nach Brüssel.
Orbán forderte am Wochenende ein "Ende des Albtraums der Vereinigten Staaten von Europa".
Europa

Orbán steuert wieder auf EVP-Bruch zu

Neue Forderungen aus Ungarn haben die Stimmung in der EVP kippen lassen. Laut Orbán-Vertrautem Balog ist der Fidesz-Austritt näher denn je. Kommt Orbán nun einem Ausschluss zuvor?

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.