Die Parteien haben nun knapp eine Woche Zeit, dem Wahlausschuss ihre Kandidaten zu nennen. Danach müssen sie 100.000 Unterschriften sammeln, damit sie am 6. Mai die Registrierung vornehmen können.
Warschau. Der Tag begann sehr früh für Bronislaw Komorowski. Um 5.40 Uhr saß der polnische Parlamentspräsident am Mittwoch bereits in seinem Büro und unterzeichnete das Papier, mit dem er die Wahl des Staatspräsidenten für 20. Juni festlegte. Kommt es zur Stichwahl, findet diese am 4. Juli statt. Eigentlich sollten die Polen erst im Herbst zu den Urnen gerufen werden, doch durch den tödlichen Flugzeugabsturz von Amtsinhaber Lech Kaczyński wurde eine vorgezogene Wahl nötig.
Die Parteien haben nun knapp eine Woche Zeit, dem Wahlausschuss ihre Kandidaten zu nennen. Danach müssen sie 100.000 Unterschriften sammeln, damit sie am 6. Mai die Registrierung vornehmen können. Der enge Zeitplan stellt die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ und die linke SLD vor enorme Schwierigkeiten. Denn bei der Katastrophe in Smolensk sind nicht nur ihre beiden Spitzenkandidaten Lech Kaczyński und Jerzy Szmajdzinski ums Leben gekommen, auch deren mögliche Ersatzleute saßen im Flugzeug.
Seit Tagen dreht sich das Personenkarussell mit immer höherer Geschwindigkeit. Vor allem der Name Jaroslaw Kaczyński wird immer wieder genannt. Der Bruder des verunglückten Präsidenten gilt in seinen Reihen als aussichtsreichster Kandidat. Allerdings stehen hinter seiner Kandidatur auch die meisten Fragezeichen. Wie wird er den Tod seines Zwillingsbruders verkraften? Bezweifelt wird auch, ob Jaroslaw Kaczyński ein guter Präsident wäre. Er ist ein quirliger Fighter-Typ, der gern den Nahkampf mit seinen Gegnern sucht. Schließlich, so geben viele Kommentatoren zu bedenken, würde seine Wahl das Land in die Erstarrung führen.
Mit Premier Donald Tusk, der ihn vor zwei Jahren im Amt des Regierungschefs ablöste, verbindet Kaczyński ein abgrundtiefer Hass. Ein Präsident Jaroslaw Kaczyński würde mit allen Mitteln versuchen, die auf Ausgleich angelegte Politik Tusks zu blockieren.
Breitseite auf Komorowski
Allerdings erscheint ein Sieg Kaczyńskis aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich. Favorit im Rennen um das Präsidentenamt ist Komorowski, der seit dem Tod Lech Kaczyńskis souverän die Geschäfte des Staates führt. Kampflos wird der Sejmmarschall die Wahl allerdings nicht gewinnen.
Am Mittwoch schoss das Boulevardblatt „Fakt“ die erste verbale Breitseite in Richtung des Kandidaten der liberal-konservativen Bürgerplattform. „Komorowski hat den Test nicht bestanden“, titelte die Zeitung. In den Tagen nach dem Unglück habe er mehrfach gezeigt, dass er unfähig sei, das Land zu führen. Der Wahlkampf hat begonnen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2010)