Schüssel soll Orbán zügeln

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Die größte politische Gruppe Europas friert die Mitgliedschaft der ungarischen Partei Fidesz ein. Österreichs Altkanzler Wolfgang Schüssel, 2000 selbst unter Beobachtung, soll einem Weisenrat angehören.

Brüssel. Am Ende eines langen Tages lachte Viktor Orbán alle aus: seine eigenen Kollegen von der Europäischen Volkspartei (EVP) ebenso wie die zahlreichen internationalen Reporter bei seiner Pressekonferenz in einem Saal des Europaparlaments in Brüssel am Mittwochabend. „Wir haben niemals eine Kampagne gegen Jean-Claude Juncker geführt. Das war eine reine Informationskampagne über wichtige EU-Themen“, behauptete der ungarische Ministerpräsident, worauf der Saal voller Journalisten in sarkastisches Gelächter ausbrach. Die aufrührerischen Plakate gegen den Kommissionspräsidenten, landesweit auf Steuerzahlerkosten affichiert, mit haltlosen Anschuldigungen, Juncker konspiriere mit dem Philanthropen George Soros, um die Masseneinwanderung nach Europa zu betreiben? Alles Schnee von gestern. Ebenso die Drohung von Orbáns eigenem Kabinettsminister, Gergely Gulyás, vom selben Nachmittag, sollte die EVP die Suspendierung der Mitgliedschaft von Fidesz beschließen, werde man sofort austreten. „Wir können nicht ausgeschlossen werden, und wir können nicht suspendiert werden. Nur Fidesz selber kann das“, höhnte Orbán.

Und so fand die EVP, Europas seit Jahren größte und mächtigste Parteifamilie, am Mittwoch in Brüssel für den zusehends autoritär und europafeindlich geprägten ungarischen Problemfall eine Lösung, die ihr zwei Monate vor der Europawahl zumindest eine Atempause verschafft: Fidesz Mitgliedschaft wird auf unbestimmte Zeit ruhend gestellt, ein Rat drei „weiser Männer“ solle bis zum Herbst die Einhaltung der europäische Grundwerte, allen voran Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, durch die Partei Orbáns prüfen.

Ungarisches Problem nur aufgeschoben

Der frühere belgische Ministerpräsident und einstige Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, soll sie leiten, der dritte Mann neben Hans-Gert Pöttering, dem Altpräsidenten des Europaparlaments, hat vor 19 Jahren am eigenen Leib erfahren,wie es ist, international geächtet und auf den Persilschein eines Weisenrates angewiesen zu sein: Altkanzler Wolfgang Schüssel, der zu Beginn seiner schwarz-blauen Koalitionsregierung mit bilateralen Sanktionen der anderen EU-Regierungen zu ringen hatte.

Sollte Orbán sich vor der Prüfung durch Van Rompuy, Pöttering und Schüssel ängstigen, so hat er dies am Mittwoch gut versteckt: „2000 wurde die ÖVP untersucht, jetzt ist es Wolfgang Schüssel, der untersucht. In 20 Jahren werde ich vielleicht zum Beispiel die schwedischen Liberalen untersuchen. Diese Perspektive reizt mich.“

Mit der Suspendierung der Fidesz ist das Problem für die EVP nur aufgeschoben, aber nicht gelöst. Zwar sieht es nicht so aus, als hätten Orbáns Ausritte gegen die EU, die antisemitischen Untertöne seiner Kampagne gegen den Holocaustüberlebenden Soros oder die fast komplette Kontrolle aller ungarischen öffentlichen Einrichtungen durch die Fidesz nachteilige Folgen für die Aussichten der EVP bei der Europawahl. In den Meinungsumfragen lässt sich bisher nicht erkennen, dass die Mitgliedschaft des Fidesz den Christdemokraten wesentliche Verluste einbringen könnte. Sie sind in allen Umfragen weiterhin klar die Nummer eins, auch wenn sie, so wie ihr Hauptkonkurrent, die Sozialdemokraten, Mandate an extremistische Parteien verlieren werden. Der CSU-Mann Manfred Weber, Spitzenkandidat der EVP, wird nun versuchen, seine Abwehr des Austrittes der Fidesz als Zeichen seiner Führungsstärke zu präsentieren.

Webers Koalitionspartner zürnen

Doch zugleich dürfte Weber seine Hoffnungen darauf, Juncker als Kommissionspräsident beerben zu können, mit dieser Aktion beschädigt haben. Denn er wird die Stimmen der Liberalen und Sozialdemokraten brauchen. Und sie schäumen vor Wut über den Kompromiss mit Orbán: „Die EVP hat die moralische Autorität verloren, um Europa zu führen“, teilte Guy Verhofstadt mit, der Klubchef der Liberalen im Europaparlament. Udo Bullmann, sein sozialdemokratisches Pendant, sieht ihre „Glaubwürdigkeit als verlässlichen Partner im Kampf gegen den Rechtspopulismus massiv beschädigt.“

Orbán hingegen pokert unverhohlen darauf, dass die EVP bald einen scharfen Rechtskurs einlegt. Werde er sich der Partei nach der Wahl wieder anschließen, wenn sie die Suspendierung aufhebt? Orbáns Antwort: „Wir werden sehen, wie die EVP dann aussieht.“

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