Peking hat es bisher gut verstanden, die EU auseinanderzudividieren. Jetzt gibt es immerhin ein EU-Papier, das China als „strategischen Rivalen“ benennt.
Der Umgang mit China war beim gestrigen Abendessen der EU-Staats- und Regierungschef gewiss eine willkommene Abwechslung vom leidigen Thema Brexit-Chaos, das die Union nun schon seit vielen Monaten lähmt. Allerdings, China ist gleichfalls ein überaus heikles und kompliziertes Thema, bei dem verschiedene EU-Staaten in völlig entgegengesetzte Richtungen ziehen. Erst Anfang März hat die EU-Kommission ein Papier vorgelegt, das eine gemeinsame Strategie der Union gegenüber der Volksrepublik beschreibt – und in dem China erstmals als das benannt wird, was es auf der Weltbühne auch für die Europäer darstellt: einen „systemic rival“ – also einen Konkurrenten im Ringen um politischen und wirtschaftlichen Einfluss in der Welt.
Ist da gar endlich Nüchternheit und neue Sachlichkeit in die China-Politik der EU-Staaten eingezogen? Schön wär's ja. Aber zu befürchten ist, dass Pekings beste Freunde in der EU – Griechenland, Ungarn, Tschechien und neuerdings Italien – trotz aller verbaler Bekenntnisse zur Geschlossenheit der Union in China-Fragen weiterhin ihre eigenen Süppchen mit den Chinesen kochen werden. Und die Volksrepublik selbst hat es bis jetzt gut verstanden, die Risse innerhalb der EU beim China-Thema zu vertiefen.
Allerdings es ist den Chinesen nicht gelungen, das Misstrauen, das es ihnen gegenüber nicht nur in den USA, sondern auch in breiten Kreisen Europas gibt, zu zerstreuen. Im Gegenteil, dieses Misstrauen scheint ständig zu wachsen. Berechtigterweise. Nicht nur haben sich alle Hoffnungen aus den 1990er- und 2000er-Jahren, dass China sich mit wachsendem Wohlstand auch politisch demokratisieren und zu einem vertrauenswürdigen Partner in der Weltpolitik werden würde, mit Xi Jinpings Amtsantritt 2012 völlig zerschlagen. Xi schreckt mit seiner hemdsärmeligen Außenpolitik nicht nur die unmittelbaren Nachbarn auf, sondern verstärkt auch überall sonst auf der Welt die Zweifel daran, was er im Schilde führt.
Jetzt umschmeichelt Xi gerade seine „lieben italienischen Freunde“, bietet ihnen Kooperationen und Investitionen von Seehäfen bis zur Telekommunikation an. Er bemüht sich, die Zweifel an der Neuen Seidenstraße, für die Xi bei seiner jetzigen Europa-Reise wirbt, auszuräumen. Doch diese Initiative ist und bleibt vor allem eines: ein Projekt zur Förderung der chinesischen Wirtschaft und zur Ausweitung des chinesischen Einflusses in der Welt. Xi hat ja auch nie einen Zweifel daran gelassen, dass es ihm – nicht anders als dem jetzigen US-Präsidenten mit seinem „America first“ – um „China first“ geht. Ein solcher Dominanzanspruch gehört offensichtlich zur DNA einer Großmacht – das gilt es nüchtern zur Kenntnis zu nehmen.
Man muss wissen, worauf man sich bei Geschäften mit China einlässt. Alle Dynamik und Supermodernität chinesischer Städte darf nie darüber hinwegtäuschen, dass es die allmächtige Kommunistische Partei ist, die das Land steuert und die alles daransetzt, an der Macht zu bleiben. Legitimiert dazu ist sie in den Augen der eigenen Bevölkerung vor allem dadurch, dass sie für anhaltendes wirtschaftliches Wachstum und zunehmenden Wohlstand sorgt.
Genau dem dient auch das Mammutprojekt „Neue Seidenstraße“. Nicht umsonst kommen bei entsprechenden „Ausschreibungen“ überwiegend chinesische Firmen zum Zug. Und als der chinesische Außenminister, Wang Yi, vor Kurzem auf die immer wichtigere Rolle Chinas auf der Weltbühne angesprochen wurde, antwortete er: „Die Errungenschaften sind zuallererst der Führung der Kommunistischen Partei zu verdanken.“
Die „Kerninteressen“, auf deren Respektieren China im Ausland pocht, sind machtpolitische: Ihre Partner sollen ungerührt darüber hinwegsehen, wie die Volksrepublik Tibeter und Uiguren im eigenen Land unterdrückt, wie sie Taiwanesen drangsaliert und im Südchinesischen Meer das alleinige Sagen haben will. Zuerst kommen Verträge, dann Investitionen, dann Abhängigkeiten – und dann solche Forderungen. Wie gesagt: Man muss wissen, mit wem man sich bei Genossen Xi Jinping einlässt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2019)