Sprechtheater? Musiktheater!

Julian Schutting.
Julian Schutting.(c) picturedesk.com
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Worum ein Dichterling wie ich die Opernkomposition beneidet: Sie dürfen es sich gönnen, alles an ihnen eingeborenen Emotionen in ihren Figuren, durch ihre Kunst verstärkt, hemmungslos auszuleben.

Theaterstücke lieber zu lesen und manchmal wie in von mir Skizziertem bereits Gesagtes herauszustreichen oder auch das, was ungesagt mehr besagt. jedenfalls ehrt es die Theatergeher, daß sie zu ihrem intellektuellen Vergnügen mit den Bühnenfiguren mitargumentieren: ein Anspruch, den Operntexte kaum an uns richten, dank ihren Sujets, deren simpleren Konflikten. für Emotionen zu sorgen bleibt der Musik anheimgegeben. Richard Wagner als alles in einem (Text-, Tondichter, Philosoph . . .) ein Sonderfall? dem Opernstehplatz der Jugend treu geblieben – lehne lieber herum, als eingeschlossen zu sitzen. am liebsten bei der Staatsoper zu der Jahreszeit vorbeizuschauen, wo aus dem Haus auf den Bildschirm an der Seitenfront, Karajanplatz, übertragen und auch von den in etlichen Reihen dort Sitzenden applaudiert wird. wann die von mir dann aufgesuchte Szene stattfindet, ist leicht abzuschätzen, die schau und hör ich mir im Auf-und-ab-Gehen an und geh dann oft nicht gleich wieder. ein Vergnügen ist es mir, tragisch endende Opern mit rechtzeitigem Weggehen gut ausgehen zu lassen, auch wenn dazu nur wenige geeignet sind: mit dem Jubel des Des Grieux, daß ihm der Kapitän des Schiffes, auf dem Manon mit Huren nach Amerika deportiert werden wird, mitzukommen gestattet, beendest du die Puccini-Oper, und so werden die beiden in der Neuen Welt glücklich werden. dich aber mit dem zweiten Bild der „Bohème“ zu begnügen, auch wenn dann der impressionistische Beginn des dritten Bildes versäumt wird, weil nur so die ausgelassene Stimmung nicht allzu bald umschlägt? den „Tristan“ auf den ersten Akt zu reduzieren, der ja alles Weitere schon großartig enthält, damit König Marke alsbald die vor Liebeserkennen Verwirrten segnet, also auf Isolde verzichtet? Otello gleichfalls auf den ersten Akt einzuschränken und mit dem Nachhall des Liebesduetts den Heimweg unter Sternen anzutreten?

Oper live, ja, die lebt auch in winzigen Nervenreizen.

Daß sich dein Operngeschmack im Lauf der Jahre verfeinert hätte? der „Giovanni“ und der „Figaro“ dir gleich teuer geblieben, dir lange unbekannt gewesene Opern des jungen Mozart und einige der Barockzeit haben sich hinzugesellt, die „Pique Dame“ hat den „Eugen Onegin“ eingeholt, die „Carmen“ ist dir abhanden gekommen, aber dein Faible für den von Feingeistigen vulgär geschimpften Verismo hat Richard Wagner zurückgedrängt. verloren gegangen ist dir schon vor langem die Vorliebe für Sängerinnen, mit denen vor exponierten Höhen mitzubangen war in Erregung – unter Verzicht aufs Dich-Echauffieren von Martha Mödl zu Birgit Nilsson übergelaufen, die drei Brünnhilden mit gleicher Brillanz dreimal hintereinander zu singen vermocht hätte!

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