Außenministerin Kneissl widerspricht Ex-Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals

Außenministerin Karin Kneissl
Außenministerin Karin KneisslAPA/ROLAND SCHLAGER
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Europäische IS-Kämpfer sollten vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden, sagt Außenministerin Karin Kneissl. Carla del Ponte hatte ein eigenes Tribunal in einem syrischen Nachbarland vorgeschlagen.

Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) sieht den Vorschlag, einen internationalen Gerichtshof für Syrien - unter anderem für IS-Kämpfer aus Europa - einzurichten, skeptisch. Die Ex-Chefanklägerin der UNO-Kriegsverbrechertribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda, Carla del Ponte, hatte dafür in einem Interview in der Jubiläumsausgabe der "Presse am Sonntag" plädiert. Für Kneissl wäre das eher ein "Plan B", wie sie am Sonntag in einem Telefongespräch mit der Austria Presseagentur von einem Besuch in Japan aus sagte.

Die Ministerin sprach sich dafür aus, dass der bestehende Internationale Strafgerichtshof (IStGH bzw. ICC) diese Rolle übernimmt. Wolle man gemäß Del Ponte ein Sondertribunal mit entsprechendem Mandat schaffen, brauche es eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, wie dies beim früheren Jugoslawien und bei Ruanda der Fall gewesen sei. "Dazu braucht es einen Extra-Konsens", betonte Kneissl und zog in Zweifel, dass ein solcher zustande kommt: Es gebe nämlich unterschiedliche Zugänge, wie man mit Kriegsverbrechen und dem Kampf gegen Straflosigkeit umgehe. Die Ministerin erwähnte etwa Schritte der UNO-Vetomacht USA, den IStGH zu torpedieren.

Syrien ist nicht Teil des Internationalen Strafgerichtshofs

"Bitte nehmen wir den Internationalen Strafgerichtshof", appellierte die Außenministerin. Dies wäre ihres Erachtens, der "umfassendste und sinnvollste Zugang", denn der IStGH, den Österreich "massiv und konsequent" unterstütze, sei gerade deswegen geschaffen worden, um nicht viele verschiedene Tribunale mit unterschiedlichen Sonderstellungen fortzuführen. Hürde beim Vorschlag Kneissls ist, dass Syrien dem IStGH bisher nicht beigetreten ist, wie sie selbst betonte. Eine "reformierte syrische Regierung" müsste den Beitritt ratifizieren.

Kriegsverbrechen müssten auf jeden Fall geahndet werden, "egal von welcher Seite sie begangen wurden", strich die Außenministerin hervor. So sammle die UNO seit Beginn des Syrien-Krieges 2011 Zeugenaussagen und Beweise. Juristenvereinigungen in Nachbarländern Syriens bereiteten sich seit Jahren auf mögliche Prozess vor.

Del Ponte hatte sich in der "Presse am Sonntag" für einen internationalen Gerichtshof mit Sitz in einem Nachbarland Syriens ausgesprochen - "zum Beispiel in Jordanien, in der Türkei oder im Libanon", denn in Syrien selbst "existiert kein Justizapparat mehr". An dem speziellen Gericht sollte auch über europäische IS-Kämpfer verhandelt werden. Europäische Länder, darunter Österreich, wollen verhindern, dass solche Foreign Fighters zurückkehren. Laut Del Ponte hat der IStGH nicht die Ressourcen, um alle Syrien-Fälle zu behandeln - "Es wären zu viele". Sie ortet zudem eine "Krise der internationalen Strafgerichtsbarkeit".

Befriedung Syriens als Ziel

Nach dem endgültigen Sieg über die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) als Territorium ("Kalifat") steht für Kneissl im Syrien-Krieg die Befriedung im Vordergrund. Ziel müsse weiterhin ein landesweites Schweigen der Waffen sein, nahm sie Bezug auf vereinbarte Waffenruhen auf regionaler Ebene, die aber teils nicht hundertprozentig halten. Sowohl die unterschiedlichen Kriegsparteien als auch die internationale Staatengemeinschaft strebten einen landesweiten Waffenstillstand an. Dieser sollte nach Meinung Kneissls, per UNO-Resolution gedeckt, überwacht werden, damit er auch halte und Verstöße geahndet werden.

Kneissl hofft, dass der UNO-Syrien-Beauftragte Geir Pedersen, den sie vorige Woche bei der Syrien-Geberkonferenz in Brüssel traf, neue Dynamik in den Prozess bringt, dem Bürgerkriegsland eine neue Verfassung zu geben. Derzeit gibt es aber Streit zwischen den Parteien, wie das Verfassungskomitee beschickt wird: Vorgeschlagene Namen waren der jeweils anderen Seite nicht genehm. Der neuen Verfassung müsse dann eine neue Machtteilung folgen und in weiterer Folge Wahlen, an denen aber auch Binnenvertriebene sowie Syrien-Flüchtlinge im Ausland teilnehmen können müssten, betonte die Außenministerin.

(APA)

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