Der Meister der Spinnenfinger

Diese Finger! Der Tod der heiligen Klara (vorn die heilige Agnes von Böhmen).
Diese Finger! Der Tod der heiligen Klara (vorn die heilige Agnes von Böhmen). Washington, National Gallery of Art, S. H. Kress Collection
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Mittelalterliche Malerei hat ihren Reiz, zählt im Allgemeinen aber nicht zu den Knallern. Der „Meister von Heiligenkreuz“ allerdings hat Potenzial dazu.

Man denkt an Struwwelpeter, den Film „Edward mit den Scherenhänden“ oder an Egon Schieles exzentrische Handhaltungen: diese insektenhaft langen Finger, die um die Ecken von Gebetbüchern kriechen, die mit affektiert gespreizten Gliedern miniaturhafte Folterattribute von Märtyrerinnen halten oder sich spinnenhaft um fragile Weihwassersprenger krümmen. Skurril bis gespenstisch schaut das aus, jedenfalls sehr geziert und artifiziell. Und es ist das unverwechselbare Markenzeichen des „Meisters von Heiligenkreuz“, dem das KHM in seiner Kunstkammer jetzt die erste kleine Einzelausstellung widmet.

Sehr klein ist sie tatsächlich, was damit zu tun hat, dass nur drei Werkkomplexe dieses Malers, der um 1400 gelebt hat, bekannt sind. Das Hauptwerk befindet sich im KHM und gab dem Künstler seinen Notnamen, wie das so schön heißt, wenn man nichts Näheres weiß: Man nottaufte diese Meister nach ihrem Wirkungsort, was im Fall des „Meisters von Heiligenkreuz“ noch dazu ein „Not-Ort“ ist. Denn das zweiteilige Altargemälde, eines der schönsten Diptychen der Internationalen Gotik, wurde zwar im Stift Heiligenkreuz seit mindestens 1829 aufbewahrt. Geschaffen wurde es aber nicht dafür, man nimmt an, dass die Tafeln, in denen die heilige Katharina und Dorothea Hauptrollen haben, auf die Kapelle hinweist, die den Ursprung der Wiener Augustinerkirche bildet.

Es herrschen die Fragezeichen

Man sieht also – beim „Meister von Heiligenkreuz“ herrschen die Fragezeichen. Er ist das Zentrum einer kunsthistorischen Rätselrallye, die sich seit Jahrzehnten zieht. 1926 hat das KHM das Diptychon von Heiligenkreuz gekauft, erst hat man noch gedacht, es stamme von einem französischen Künstler, was stilistisch naheliegt. Arbeitete er also in Paris? Dazu passt das Holz der Tafeln wieder nicht. Es ist entweder Tanne, was in Frankreich nicht üblich war, wie Guido Messling, KHM-Kurator für deutsche Malerei, ausführt. Oder die ebenfalls verwendete Eiche stammt nachweislich aus dem süddeutschen oder österreichischen Raum.

Auf Eiche malte er seinen wundervollen zweiteiligen Altar, der eine Schau- und eine bemalte Rückseite hat. Auf Eiche prangt auch das viel kleinere Andachtsbild einer „Mystischen Vermählung der heiligen Katharina“ mit dem Jesuskind, die sich im Belvedere befindet. Auf Tanne sind die zwei ehemals zusammengehörigen Bilder zweier prominenter, spiegelbildlich angeordneter Sterbenden gemalt, die heute beiden in Museen in den USA sind (Cleveland, Washington): die „jungfräulichen Bräute Christi“ Maria und die heilige Klara. Was den Verdacht sehr nahelegt, dass dieses Diptychon einst für ein Klarissenkloster entstanden ist. Die sehr auffällige heilige Agnes von Böhmen, der als Attribut ein schüchternes Lämmlein unter dem blauen Umhang zugeordnet ist, legt weiters nahe, dass dieses Kloster sich im böhmischen Raum befunden haben muss. Hach, diese ikonografischen Schnitzeljagden.

Erstmals sind so alle dem Heiligenkreuzer Meister zugeschriebenen Tafeln vereint, zu Ehren des in den vergangenen Jahren frisch restaurierten Hauptwerks hat sich das Netz aller Spinnenhände hier jetzt sozusagen zusammengezogen, jedenfalls das Fragment dieses Netzes, das sich erhalten hat.

Ist das wirklich alles? Messling stellt mit einem weiteren Bild eine gewagte These „zur Diskussion“: das Porträt der Herzogin Beatrix von Hohenzollern, das bisher als Bildnis ihres Mannes Herzog Albrecht III. gegolten hat. Denn die im Profil dargestellte Person mit sehr weiblichen Zügen trägt einen dicken Zopf – am Kopf. Aber auch um den Hals hängend, den berühmten, von Albrecht gegründeten „Zopforden“. Messling meint jetzt mehreres: Erstens, es ist stilistisch gesehen die Kopie eines verschollenen Originals des Meisters von Heiligenkreuz (die Augenform!). Zweitens: Es ist eben Beatrix, nicht Albrecht, womit es sich um das älteste autonome Frauenbildnis Österreichs handeln würde. Und drittens: Damit ist der Meister eindeutig in den Wiener höfischen Bereich zuordenbar. Klingt alles sehr gut. Zu gut vielleicht. Denn: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel“, schließt Messling.

„Der Meister von Heiligenkreuz“, bis 23. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2019)

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