Orbán: „Regiere mit Demut und Bescheidenheit“

Vor der zweiten Runde der Parlamentswahl in Ungarn: Schaffen Konservative die Zweidrittelmehrheit?

BUDAPEST. Feiern die oppositionellen rechtskonservativen Jungdemokraten und ihr Chef Viktor Orbán am kommenden Sonntag den totalen Triumph, schaffen sie die Zweidrittelmehrheit im künftigen Parlament? Nach dem Erdrutschsieg der Oppositionspartei in der ersten Runde der ungarischen Parlamentswahlen am 11. April ist das die einzige Frage, die noch offen ist. Eine Frage freilich, die politischen Sprengstoff birgt.

In den Augen der regierenden Sozialisten, die vor zwei Wochen eine verheerende Niederlage einstecken mussten, wäre eine Zweidrittelmehrheit der Orbán-Partei eine „große Gefahr für die ungarische Demokratie“. Die Nationalkonservativen könnten dann nach Belieben die Verfassung ändern und das politische System in Ungarn ganz nach ihrem Gusto umkrempeln. In den vergangenen Tagen erschöpfte sich der Wahlkampf der Sozialisten denn auch darin, unermüdlich die Alarmglocken zu läuten und sich als Hüter der Demokratie hochzustilisieren.

Glaubt man Orbán, wird es in den kommenden vier Jahren keinen Abbau der Demokratie geben. Orbán selbst ließ mehrfach durchblicken, dass er die scharfe politische Polarisierung im Lande beenden wolle. Er versprach zudem, dass er mit „Demut und Bescheidenheit“ zu regieren gedenke.

Einer der Spitzenpolitiker der Nationalkonservativen, László Kövér, erklärte, dass die künftige Orbán-Regierung nur vier Gesetze ändern wolle, die einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedürfen: das Wahlgesetz, um das Parlament zu verkleinern; das Gesetz über die Lokalverwaltungen, um das Verwaltungssystem effektiver und kostengünstiger zu machen; das Mediengesetz sowie das Gesetz zur Regelung der Staatsbürgerschaft für die Auslandsungarn: Allen Angehörigen der ungarischen Minderheit in den Nachbarländern soll die ungarische Staatsbürgerschaft gewährt werden.

Stichwahl in 57 Wahlkreisen

In der zweiten Wahlrunde am Sonntag kommt es in jenen 57 Wahlkreisen zu einer Stichwahl, in denen am 11. April keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erreichen konnte; insgesamt gibt es 176 Wahlkreise. Von diesen konnten die Nationalkonservativen in der ersten Wahlrunde bereits 119 für sich entscheiden. In den verbliebenen 57 Wahlkreisen lagen sie vor zwei Wochen in 56 voran. Nur in einem Wahlbezirk war ein sozialistischer Kandidat in Führung.

Um die Zweidrittelmehrheit zu erobern, reicht es, wenn die Orbán-Partei von den 57 noch unentschiedenen Wahlbezirken in 48 gewinnt. Da die Wahlbezirke unterschiedliches Gewicht haben, kann sie es sich sogar leisten, in bis zu zwölf Wahlbezirken zu verlieren. Die Sozialisten wiederum können nur das Ziel vor Augen haben, zumindest in 13 Wahlbezirken zu gewinnen. Dann nämlich ginge sich eine Zweidrittelmehrheit für die Nationalkonservativen rechnerisch nicht mehr aus.

Vor zwei Wochen erreichten die Nationalkonservativen 52,73 Prozent der Wählerstimmen. Zweitstärkste Kraft wurden die Sozialisten mit 19,3 Prozent. Dahinter landete die rechtsradikale Partei Jobbik mit 16,67 und die Grünpartei LMP („Eine andere Politik ist möglich“) mit 7,48 Prozent. Die Mandatszahl der Parteien im Parlament wird in einem komplizierten Verfahren aus dem Ergebnis der Listenwahl und jenem in den 176 Einzelwahlkreisen errechnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2010)

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