Die Wien-Spende des Christchurch-Terroristen

Martin Sellner führt seit 2013 die Identitären in Österreich an.
Martin Sellner führt seit 2013 die Identitären in Österreich an.(c) imago/ZUMA Press/Sachelle Babbar
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Attentäter überwies 1500 Euro an den Chef der Identitären in Österreich. Es war nicht seine einzige Spende an Rechtsextreme, vermuten Ermittler in ganz Europa.

Wien. Der Attentäter von Christchurch war kein Einzelgänger. Brenton Tarrant suchte den Kontakt zu rechtsextremen Organisationen. Er war international vernetzt, und die bisher deutlichste Spur führt nach Wien. „Ich habe an viele nationalistische Gruppen gespendet und mit noch vielen mehr Umgang gepflegt“, schrieb der Terrorist in das Manifest, das er im Internet veröffentlichte, bevor er zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch angriff und 50 Muslime erschoss. Eine seiner Überweisungen in der Höhe von 1500 Euro ging im Frühjahr 2018 auf dem Konto von Martin Sellner, dem Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, ein.

Das teilte der 30-Jährige am Montag nach einer Hausdurchsuchung in seiner Wiener Wohnung in einem 15-minütigen Video auf seinem YouTube-Kanal mit. Er habe dem Spender auch ein Dankes-E-Mail geschrieben, damals aber nicht gewusst, um wen es sich handle. Im Gespräch mit der „Presse“ distanzierte sich Sellner vom Christchurch-Attentäter und verurteilte den Terroranschlag.

Erst vorgestern sei ihm bei der Durchsicht seiner Steuerunterlagen aufgefallen, dass von einer E-Mail-Adresse, die den Namen Tarrant enthielt, eine unverhältnismäßig hohe Spende stamme, behauptet Sellner. Er habe dies den Behörden auch melden wollen, doch eine Lebensmittelvergiftung habe ihn daran gehindert, und dann sei ihm die Polizei mit der Hausdurchsuchung zuvorgekommen.

Weitere Razzien geplant

Gegen Sellner läuft nun ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Vergangenes Jahr wurde den Identitären vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung zu sein – sie wurden freigesprochen. Auf Tarrants Spende stieß die Staatsanwaltschaft Graz bei einer Kontoöffnung in einem laufenden Finanzstrafverfahren gegen Sellner.

Mit seinem Rechtfertigungsvideo könnte Sellner, so vermuten Ermittler, auch versucht haben, andere Gesinnungsgenossen vorzuwarnen. Informationen der „Presse“ zufolge bereiteten die Behörden weitere Razzien in Österreich vor. Sie tauschten auch Informationen mit Nachrichtendiensten und Sicherheitskräften anderer Staaten aus. Ein Sprecher des Innenministeriums wollte dazu aus ermittlungstechnischen Gründen keine Auskunft geben.

Doch allein ein Blick in das Manifest des Attentäters legt den Verdacht nahe, dass Tarrant sein Geld nicht nur in Österreich verteilte. Er ruft in dem Pamphlet dazu auf, nationalistische Gruppierungen in Europa zu unterstützen. In „Polen, Österreich oder Frankreich“ könnte eine breite Bewegung starten. An einer solchen Vernetzung arbeiten die Identitären seit Jahren – sie sind mittlerweile in zehn europäischen Nationen organisiert: Etliche Staaten davon, nämlich Polen, Frankreich, Spanien und im Dezember 2018 auch Österreich, hat Tarrant im Zuge seiner ausgedehnten Europa-Reisen besucht. Sellner beteuerte gegenüber der „Presse“, Tarrant nie getroffen zu haben. Das überprüfen nun die Ermittler. Sie beschlagnahmten Sellners Computer und Handy.

Ideologische Parallelen zwischen dem Christchurch-Attentäter und den Identitären zeigen sich auf den ersten Blick. „The Great Replacement“ nannte Tarrant sein Manifest. Vor dem „großen Austausch“ der Völker durch Migranten warnen auch die Identitären ständig in ihren Schriften und auf ihren Demonstrationen. Auch in seinem Video, in dem sich Sellner über die Hausdurchsuchung beschwert, referiert er über den „großen Austausch“. Er werde weiter dagegen kämpfen, sagt er. Friedlich. Bundeskanzler Sebastian Kurz forderte nach Bekanntwerden der Kontakte des Christchurch-Terroristen nach Österreich, alle Verbindungen lückenlos aufzuklären. Innenminister Herbert Kickl erklärte, entgegen aller Unterstellungen sei sein Ministerium immer auf der Hut gegenüber allen terroristischen Bedrohungen. Die Opposition erwartet sich vom Innenminister Antworten auf alle aufgetauchten offenen Fragen.

Das Hannibal-Netzwerk

Neben den Identitären, die vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) als rechtsradikal eingestuft werden, ist in Österreich auch ein weiteres rechtsradikales Netzwerk aktiv, dessen Nähe der Christchurch-Attentäter suchte. Es handelt sich um das Hannibal-Netzwerk, das von Deutschland aus auch in der Schweiz und in Österreich agiert. Ihm sollen eine Vielzahl deutscher Soldaten und Verfassungsschützer angehören. In Chatgruppen sehnten die Mitglieder den „Tag X“ herbei, den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung. In Österreich fanden Schießübungen statt. Chef der Gruppe ist der deutsche Elitesoldat André S. alias Hannibal. Er hat gute Kontakte nach Österreich; ein hochrangiger ÖVP-Politiker verlieh ihm sogar einen Ritterorden. Die Verbindungen des Hannibal-Netzwerks nach Österreich sind derzeit Gegenstand intensiver Ermittlungen – so wie rechtsextreme Netzwerke nun generell in den Fokus von Geheimdiensten in ganz Europa rücken. Die davon ausgehenden Gefahren haben laut Experten mit der Flüchtlingswelle 2015 nämlich wieder deutlich zugenommen.

DIE REISEN DES CHRISTCHURCH-ATTENTÄTERS

Brenton Tarrantunternahm vor seinem Terroranschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch mehrere ausgedehnte Reisen.

Das Geld dafür verdankte der 28-jährige Fitness-Coach lukrativen Bitcoin-Geschäften und dem Erbe, das ihm sein Vater 2010 nach dessen Krebstod hinterließ.

Frankreich bereiste er eignen Angaben zufolge besonders intensiv. Dort soll er sich auch radikalisiert haben. Auf den Spuren der Kreuzritter, die er als Retter des Abendlandes bewunderte, besuchte er ab 2016 auch Spanien, Portugal, die Türkei, Rumänien, Bulgarien, Polen, Tschechien, die Slowakei und die baltischen Staaten.

Nach Österreich kam er im Winter 2018. Er besuchte das Heeresgeschichtliche Museum und die Nationalbibliothek in Wien. Zudem war er in Salzburg und Innsbruck. In Kärnten sah er sich Friesach an, in Klagenfurt den Wappensaal. All das geht aus Fotos auf seinem inzwischen gelöschten Facebook-Account hervor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2019)

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