Die schwer zu fassenden Konterrevolutionäre

Wie soll man mit den Identitären umgehen? Am besten nach den Regeln des Rechtsstaats. Ohne Eifer, Unverhältnismäßigkeit und schnelle Schlagzeilen.

Die Identitären werden gern als inverse 68er beschrieben. Nicht nur weil auch diese Bewegung in Frankreich ihren Ausgang nahm, sondern weil sich die rechten Konterrevolutionäre in deren Fundus bedienen, allen voran im Aktionismus. Waren die 68er die Avantgarde eines linken Zeitgeists, so sind die Identitären heute ein Produkt des rechten.

Seinerzeit mussten sich die SPÖ, vor allem aber die SPD von den radikalen Tendenzen im linken Lager distanzieren. So ging ausgerechnet die Regierung unter einem SPD-Kanzler, nämlich Helmut Schmidt, mit aller gesetzlichen Härte gegen die Auswüchse des Linksterrorismus in Gestalt der RAF vor.

Auf akzentuierte Distanz setzt nun auch die Regierung aus ÖVP und FPÖ: kein Platz für Extremismus, volle Härte, Prüfung der Auflösung der Identitären.

Möglicherweise weiß die Regierung mehr. Oder ist wieder einmal auf die schnelle Schlagzeile aus. Denn wenn eine Regierung das Verbot einer politischen Bewegung andenkt – egal, welcher – dann ist in erster Linie einmal Skepsis angebracht. Und es sollte auf belastbaren Fakten beruhen, die dies rechtfertigen.

Das, was bisher auf dem Tisch liegt, hält die Skepsis aufrecht. Die Spende eines Mannes aus dem Jahr 2018, der 2019 zum Attentäter wird, allein wird nicht genügen. Und das Thema wurde ja schon einmal verhandelt. Und zwar groß. In einem viel beachteten Prozess standen im Vorjahr 17 Vertreter der Identitären Bewegung in Graz vor Gericht. Sie waren angeklagt wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dem Staatsanwalt wurde damals ein gewisser Eifer in der Sache attestiert. Wobei er mit demselben auch die Islamistenprozesse in Graz vorangetrieben hatte.

Freisprüche im Vorjahr

Alle 17 Identitären wurden freigesprochen, das Urteil hielt in der zweiten Instanz. Auch der „Falter“ fand die Anklage falsch: „Solche sektoiden Splittergruppen, die im Netz enormen Wirbel schlagen und vor allem junge Leute begeistern, bekämpft man nicht mit Mafiaparagrafen.“ Und zog noch einen weiteren – gewagten – Schluss: „Nein, die Identitären sind keine Mafiabande, sie sind die inoffizielle Jugendbewegung der FPÖ.“

Eine Polemik zwar, aber nicht ganz aus der Luft gegriffen. Auch wenn sich Freiheitliche und Identitäre neuerdings auf Twitter wegen des rechten Umgangs mit dem Thema Zuwanderung befetzen: So wie es in der Zeit nach 1968 klammheimliche Sympathien von nicht ganz so radikalen Linken, die letztlich doch die SPD wählten, für die ganz radikalen Linken, die den Staat an sich herausforderten, gab, so gibt es heute bei manchen Freiheitlichen doch Sympathien für die Identitären. Allzu weit ist man ja nicht voneinander entfernt. Selbst FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fand schon einmal freundliche Worte. Nun jedoch: „Schonungslose Aufklärung.“

Zwischen "Vielfalt" und "Deus vult"

Und es wäre auch gut, würde die Öffentlichkeit über den Charakter der Identitären aufgeklärt werden. Sofern Geheimdienste wie das BVT noch in der Lage sind, solche Einschätzungen zu liefern. Eine Affinität zum Rechtsextremismus stellte der Verfassungsschutz jedenfalls 2014 fest. Sonst bleibt vieles im Bereich des Ambivalenten. Auf ihrer Homepage geben sich die Identitären relativ zahm: „Wir lehnen jede Form von Rassismus ab. Wir anerkennen andere Kulturen als anders und sehen in der menschlichen Vielfalt einen Wert an sich“, heißt es dort etwa. Auf ihren Merchandising-Produkten – weswegen die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung weitergeführt wurden – wird der Ton allerdings spezieller: Es gibt die Hoodies „Ehre – Freiheit – Vaterland“, Pullover mit dem Kreuzritter-Slogan „Deus vult“ oder die T-Shirts „Celebrate Diversity“, die unter anderem Pickelhaube und Gasmaske zeigen.

Eine terroristische Vereinigung wie die RAF sind die Identitären offensichtlich nicht. Ob sie auf dem Weg dorthin sein könnten, das ist die Frage. Wenn ja, sollte sich der Staat ihnen mit aller Härte entgegenstellen. Wenn nein, sollte man die Finger von Verbotsbestrebungen lassen. Dies jedoch sollte einmal die Sicherheitsbehörde klären, nicht die Regierung in den Raum stellen.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2019)

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