Das Scheitern der Justiz im Kampf gegen die Identitären

Die angeklagten Identitären im Juli 2018 im Grazer Straflandesgericht.
Die angeklagten Identitären im Juli 2018 im Grazer Straflandesgericht.(c) Stringer/APA/picturedesk.com
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Identitäre, allen voran Frontmann Martin Sellner, standen bereits vor Gericht. Doch die Anklage hielt nicht.

Wien/Graz. „Wenn ich den Richter nicht überzeugen kann, dann wird er Sie freisprechen.“ Diese Botschaft richtete am 4. Juli 2018 der führende Grazer Extremismus-Staatsanwalt (er bittet, seinen Namen nicht zu nennen) an die vor ihm sitzenden 17 Angeklagten. Allesamt gehörten der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) an; an vorderster Front: der damals 29-jährige Martin Sellner, Sprecher und Leitfigur der IBÖ.

Jener Mann, der im Frühjahr 2018, also noch vor dem Prozess, eine Spende in der Höhe von 1500 Euro vom Christchurch-Attentäter überwiesen bekommen hatte. Jener Mann, der ein paar Monate später mit einem glatten Freispruch aus dem Gericht spazierte. Die Zweifel des Staatsanwalts sollten sich nämlich als berechtigt erweisen: Sein Versuch, den Richter von der Schuld der Angeklagten zu überzeugen, schlug fehl.

Alle 17 Angeklagten wurden vorigen Juli vom pauschalen Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung freigesprochen. Und auch die zweite, gegen elf der 17 Identitären erhobene Anschuldigung, Verhetzung, das Aufstacheln zu Hass auf Flüchtlinge, speziell auf Muslime, ließ sich nicht beweisen.

Justizressort stützte die Anklage

Somit scheiterte die Justiz, konkret die Staatsanwaltschaft Graz, mit ihrem ersten Anlauf zur Zerschlagung der IBÖ – die der Verfassungsschutz als Trägerin des „modernisierten Rechtsextremismus“ sieht. Es war freilich nicht die Staatsanwaltschaft allein, die mit ihren Vorwürfen auf der Strecke blieb. Sowohl das weisungsbefugte Justizressort als auch das unabhängige Beratergremium von Minister Josef Moser, der Weisungsrat, standen voll hinter der Anklage.

Die Gründe lassen sich zusammenfassend so definieren: Zum einen litt die Anklage an einem Mangel, der vielen Prozessbeobachtern sofort aufgefallen war: Sie war zu unbestimmt. Und zum anderen führte genau dieser Mangel zu einer grundsätzlichen Debatte über die Meinungsfreiheit. Eine gefestigte Demokratie müsse es aushalten, so wurde vielfach kommentiert, wenn Gruppierungen bis an die äußersten Grenzen der zumutbaren politischen Provokation und Agitation gehen – solang keine konkreten Straftaten gesetzt würden.

Die Strategie der Identitären ging auf. Diese hatten schon im Vorfeld des großen Grazer Prozesses vollmundig verkündet (und sich damit wohl am Rande des Zynismus bewegt), dass sie „auf den Rechtsstaat vertrauen“. Auf der IBÖ-Homepage hieß es: „Wir sind uns sicher: Heimatliebe ist kein Verbrechen.“ Mit Slogans wie diesem waren alle Aktivitäten unterfüttert worden, die sich in der Anklage wiederfanden.

Im Wesentlichen waren es Störaktionen, wie man sie der Art nach von autonomen bzw. prononciert linken Plattformen seit Jahrzehnten kennt. Da war im April 2016 das 16 Meter breite, mit Theaterblut übergossene Transparent, das am Dach des Grazer Grünen-Büros entrollt wurde: „Islamisierung tötet“. Ein effektvoll gemachtes Video der Aktion wurde im Internet lanciert. Stets galt: möglichst viel Publizität erzeugen. Den Machern war also klar, dass sie – vor selbst eingeschalteter Kamera – tunlichst nur an den Rand der Strafbarkeit, aber nicht darüber hinaus gehen sollten.

Nur zwei kleine Geldstrafen

Da war im Juni 2016 der Sturm eines Lehrsaals der Uni Klagenfurt. Diesmal war auf den Transparenten „Stoppt Zuwanderung“ und „Integration ist eine Lüge“ zu lesen. Hier blieb strafrechtlich sogar etwas hängen: Ein Aktivist, der dem Rektor in den Magen schlug, bekam 720 Euro Geldstrafe.

Da war der mit gelber Farbe besprühte Gehsteig im weststeirischen Maria Lankowitz, erneute Parole: „Integration ist Lüge“ (dafür setzte es 240 Euro Strafe wegen Sachbeschädigung). Und zuletzt, im März 2017, hissten Aktivisten am Dach eines Wiener Wohnhauses ein Transparent mit der Aufschrift: „Erdoğan – hol Deine Türken ham!“

Martin Sellner wusste natürlich genau, was er sagte, als er dem Richter erklärte: „Unkontrollierte Masseneinwanderung sahen wir als große Bedrohung. Wir wollen als Aktivisten nicht dämonisiert werden. Wir wollen eine offene Debatte.“ Und: „Wir haben uns an den Greenpeace-Protestaktionen orientiert, die auch gewaltfrei ihren Protest auf die Straße bringen.“

Der Richter entschied in den zentralen Punkten im Zweifel für die Angeklagten. Er erklärte: „Wenn eine Organisation im Kernbereich legale Tätigkeiten ausübt, ist es keine kriminelle Vereinigung, auch wenn sich daraus Straftaten ergeben.“ So könne etwa die am Grünen-Büro angebrachte Parole „Islamisierung tötet“ auch als Kritik an der Politik der Grünen bzw. als Kritik am radikalen Islamismus verstanden werden. Dies gebiete ebenfalls der eherne Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“.

Auch aus Sicht von Legisten ist der Prozessausgang bitter: Erst Anfang 2016 ist der Verhetzungstatbestand neu formuliert und in den Katalog jener Delikte aufgenommen worden, mit denen sich das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung begründen lässt. Dennoch war es dem Gericht unmöglich, die beiden IBÖ-Vereine, den Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität und den Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit, per se als kriminell einzustufen.

Nunmehr ermittelt der Verfassungsschutz gegen Sellner wegen des Verdachts der terroristischen Vereinigung. Dies ist schon wieder ein weit gefasster, wenig konkreter Sammeltatbestand. Und es gilt die Unschuldsvermutung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2019)

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