Venezuela: Macht des guten Glaubens

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Erzbischof José Luis Azuaje schildert die bedrückende Lage im Machtkampf um seine Heimat. „Die Regierung will Zeit gewinnen.“

Wien. Kardinal Luis Antonio Tagle lehnt sich zurück, lauscht den Worten seines Amtsbruders aus Venezuela und fühlt sich trotz der Schilderungen über die humanitäre Notlage in dem lateinamerikanischen Land ein wenig zurückversetzt in die 1970er- und 1980er-Jahre, als sich in seiner philippinischen Heimat ein Massenaufstand gegen Diktator Ferdinand Marcos formiert hat. Nach 14 langen Jahren, nach der Ermordung des Oppositionsführers Benigno Aquino nach seiner Rückkehr nach Manila und nachdem das Militär großteils von den Fahnen gegangen war, fegte die „People Power“-Protestbewegung, die „gelbe Revolution“ unter Beteiligung der einflussreichen katholischen Kirche und von Kardinal Jaime Sin, 1986 das Marcos-Regime von der Macht.

„Sozialer Aufschrei“

Auf einen solchen Moment wartet das ausgezehrte Volk in Venezuela, auf einen „sozialen Aufschrei“, einen Machtwechsel, einen „kalten Staatsstreich“ der Militärs in Caracas. Nach Ansicht von Erzbischof José Luis Azuaje, des Kirchenführers aus Maracaibo, stehen 90 Prozent der Bevölkerung aufseiten der Opposition gegen den Totalitarismus. Drei Millionen Venezolaner haben das Land verlassen, weitere zwei Millionen könnten folgen.

Es ist wieder ein bedrückender Tag in Venezuela, als er fern der Heimat, bei einer Pressekonferenz in den Caritas-Büros am Stephansplatz in Wien, ein Bild der aktuellen Situation zeichnet – ein Tag, an dem ein Strom-Blackout erneut das Land lahmlegt, Schulen und Firmen geschlossen sind. „Ist es Strategie, ist es Totalversagen? Niemand weiß es. Die Regierung will Zeit gewinnen“, glaubt Azuaje. Das Patt zwischen dem Maduro-Regime und Oppositionsführer Juan Guaidó, dessen Frau, die Journalistin Fabiana Rosales, am Mittwoch im Weißen Haus in Washington vorsprach, um den Druck der Trump-Regierung gegen Maduro zu verstärken, geht weiter.

Azuaje ist aber weniger am „Spiel der Großmächte“ gelegen, dem Stellvertreterkonflikt zwischen Washington und Moskau – zumal angesichts des wirtschaftlichen Kollapses und der desolaten humanitären Lage, in der Menschen hungern, plündern, im Müll stöbern, leiden und sterben, in der es an Medikamenten mangelt, die Spitäler notdürftig funktionieren und der Preis der Grundnahrungsmittel um 120 Prozent gestiegen ist, in dem der Monatslohn eines Arbeiters kaum fünf Euro beträgt. Der Erzbischof, Chef der Caritas in Venezuela wie in Lateinamerika, schätzt die Solidarität der internationalen Gemeinschaft. „Wir brauchen den Druck, dass internationale Hilfe ins Land kommt.“

„Vermögen einfrieren“

Hilfslieferungen stapeln sich vor den gesperrten Grenzen, und „das Geld, das dem Volk gestohlen wurde, lagert in Steuerparadiesen“, moniert Azuaje. Er fordert: „Das Vermögen muss eingefroren werden.“ Das Dialogangebot des Vatikans samt Bedingungen habe das Regime ausgeschlagen, als da wären: Freilassung der politischen Gefangenen, Zulassung von Hilfslieferungen, Einsetzung einer Übergangsregierung und der Nationalversammlung.

Tagle, Chef der Caritas internationalis, von 165 Landesorganisationen, eines global operierenden Netzwerks, drückt „Bruder“ Azuaje an der Schulter. Die beiden sind zu einem Kongress über humanitäre Hilfe nach Wien gekommen. Tagle (61), der als „papabile“ gilt – als Papstanwärter – und dessen Heimat oft von Taifunen heimgesucht wird wie derzeit in Mosambik, spricht vom „täglichen Desaster der Armut“. Tagle alias „Chito“ hat für Azuaje Trost und Rat parat: organisierte Basisarbeit, Hoffnung, Glauben, und nicht die Geduld verlieren: „Ich wünsche ihm nicht, dass er 14 Jahre warten muss.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2019)

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