Madeira: Wasserwege und Marktfieber

Anna Burghardt
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An Eukalyptus und Lorbeer riechen, Fisch mit Passionsfrucht essen, Poncha trinken: Madeira kulinarisch erwandern.

Das nächste Volksfest ist nicht weit. Weder zeitlich noch räumlich. Ob Schutzheilige oder Äpfel – man lässt in Madeira kaum eine Gelegenheit aus, um auf den Straßen zu feiern. Und um Poncha zu trinken – den allgegenwärtigen Cocktail aus zerstampften Früchten oder Saft, Honig und einheimischem Zuckerrohrschnaps –, um frittierte Teigstränge namens Churros in flüssige Schokolade zu tunken und im Rohzustand erworbene Fleischspieße selbst über offenem (und öffentlichem!) Feuer zu grillen. Traditionell werden die beachtlichen Rindfleischbrocken von den Standlern auf zugespitzte Stecken aus Lorbeerholz aufgefädelt, dem Holz der entlegenen Atlantikinsel, immer öfter jedoch nimmt man heute auch anderes Holz. Der Lorbeer mitsamt seinen Begleitgewächsen hat zur Zeit der Besiedelung Madeiras durch die Portugiesen vor 600 Jahren noch die ganze Insel überzogen („madeira" bedeutet Holz). Mittlerweile wird er langsam durch den Eukalyptus verdrängt. Dieser profitiert nämlich paradoxerweise von Waldbränden: Er brennt fast übereifrig mit, und er wirft – quasi dann doch in Panik – seine Samen ab. Um nach jedem Brand um ein Vielfaches schneller als der ebenfalls betroffene, deutlich behäbigere Lorbeer wieder auszutreiben.

Wandererfahren. Einblicke wie diese gibt es auf den Wanderreisen, wie sie die österreichische Familie Dornfeld-Bretterbauer anbietet, zuhauf. Christa Dornfeld und Gerald Bretterbauer sind vor über zwei Jahrzehnten nach Madeira ausgewandert, sprechen fließend Portugiesisch, zwei ihrer drei Söhne leben mittlerweile auch hier. Seit der Eröffnung ihres Landguts Quinta dos Artistas hoch über dem Meer an der Südküste kann die Familie ihre Wandergäste auch selbst beherbergen; davor kooperierte man mit einem Hotel. Von den Apartments der Quinta hat man den Atlantik sowie die unbewohnten (und wegen Wilderern bewachten) Inseln Ilhas Desertas ebenso im Blick wie von den terrassenartig angelegten Gemüsefeldern, die das kleine Unternehmen möglichst unabhängig machen sollen. Das Städtchen Santa Cruz ist per Auto nicht weit, das Gefälle der Straßen freilich gewaltig, selbst für Alpenlandbewohner. Christa Dornfeld, die jeden Tag der Woche mit Gästen unterwegs ist, kennt nach zwei Jahrzehnten jeden bewanderbaren Fleck der Insel. Ihr sind die alten Verbindungswege vertraut, die im Zickzack steile Klippen hinaufführen, sie weiß, wann man aufbrechen muss, um ein spektakuläres Wasserfallatrium für sich allein zu haben, und kann so ziemlich jede der unzähligen Pflanzen Madeiras benennen.

Manche Wanderungen führen zunächst in waagerechter Route an kleinen Hausgärten vorbei, und gleich zu Beginn marschiert man im Gänsemarsch entlang schmaler Levadas. Diese künstlich angelegten Wasserkanäle sind typisch für Madeira, ihre Omnipräsenz auf der Insel ist weltweit wohl einzigartig; vergleichbare Systeme hat zum Beispiel der Oman, dort Afladsch genannt. Die Levadas dienen dazu, Wasser aus dem niederschlagsreicheren Norden und dem Zentrum Madeiras zu den landwirtschaftlich stärker genutzten, aber trockeneren Gebieten auf der Südseite der Insel zu leiten. Auch die Felder der Quinta dos Artistas werden durch ein Levadasystem bewässert; das Wasser fließt allerdings nicht permanent durch die Gemüseparzellen, sondern stundenweise. Zugeteilt und überwacht wird traditionell von einem Levadero, der den Wasserfluss in den Rinnen nach Bedarf umleitet, gern auch einmal mit alten Bushaltestellenschildern.

Duftlaub. Vom flachen Start einer Wanderung darf man sich nicht täuschen lassen; mitunter geht es plötzlich extrem steil bergauf. Der Weg führt an ungeordneten Obstplantagen und Hahn-Hühner-Kommunen vorbei, über alte Steinbrücken und durch Eukalyptuswälder mit ihren wabernden Duftschwaden. Man ist versucht, immer und immer wieder mit den Händen über Eukalyptuslaub am Wegesrand zu streichen und sich eine neue süchtig machende Ladung ätherischer Wegzehrung zu holen. Es geht durch kleine Dörfer – an den Rückseiten mancher Häuser Stapel massiver Kürbisse, in einem Vorgarten drei schwergewichtige Englische Bulldoggen – und an wilden Weiden vorbei. Kann sein, dass man einmal warten muss, bis sich eine mit einem gewissen Bewegungsradius angeleinte Ziege bequemt, den Weg freizumachen, und es ist sehr wahrscheinlich, dass Wanderguide Christa immer wieder stehenbleibt, um auf eine Tamarillo-Plantage hinzuweisen, auf Kapuzinerkresseblüten in Neonorange oder exotische XL-Blumen an einem Zaun.

Für manche Wanderungen geht es per Kleinbus zum Encumeada-Pass, der erst seit 2002 untertunnelt ist und die Nord- mit der Südseite der 57 km langen Insel verbindet. An der weniger besiedelten Nordseite Madeiras, wo man die äußerste Randlage Europas fast körperlich spürt, sind die dunklen und feuchten Lorbeer-Urwälder zu finden. Auch hier wandert man stets entlang alter, bemooster Levadas mit meist sanftem Gefälle, manchmal schießt eine Verbindungslevada aber auch fast senkrecht durch ihre Rinne. Auf den gewundenen Straßen auf dem Weg Richtung Norden wird man Zeuge, wie die Madeirenser ihrem Land an den unmöglichsten steilen Hängen kleine Anbauflächen abringen, mittels kleiner Terrassen. An der Nordseite wachsen kaum Bananen, dafür Wein und Zuckerrohr. So manche Fläche wird doppelt genutzt: Im Winter (angesichts des ganzjährig milden Klimas Madeiras relativ), wenn die Weinstöcke keine Blätter tragen, die die Sonne abhalten könnten, setzt man Gemüse unter die Reben.

Marktfieber. Fixpunkt einer anderen von der Quinta angebotenen Wanderung ist der immer sonntags stattfindende Markt von Santo da Serra. Hier prosten sich die Einheimischen mit Mandarinen-Poncha zu, essen Schweinsohr-Getreide-Eintopf und flambierte Chorizos, kaufen Süßkartoffelbrot, kleine gelbe Guaven und Kohlköpfe, so groß wie Gymnastiksitzbälle (diese dominieren in der Wintersaison die Hausgärten). Man nascht kalt gewordene gebratene Sardinen und kippt dazu winzige Bierflaschen der portugiesischen Kultmarke Superbock.

Dieser Bauernmarkt ist ungleich echter als der bekannte Mercado dos Lavradores in der Hauptstadt Funchal. In dieser Anlage aus den 1930ern werden ausländischen Besuchern gern obszön überteuerte, aus China oder Brasilien importierte und als „typical" ausgegebene Früchte aufgedrängt. Am besten besucht man Funchals Markt am Freitag, wenn Bauern auf der Freifläche in der Mitte ihre Stände aufbauen. Und faustgroße Knoblauchknollen ebenso anbieten wie winzige Mandarinen und die an Maiskolben erinnernden weißfleischigen Früchte des Philodendrons. In der angrenzenden Fischhalle sollte man trotz eventueller erstaunter Blicke kurz den Waschraum aufsuchen – den Fischwaschraum. Hier rubbeln Arbeiter dem auf Madeira allgegenwärtigen Schwarzen Degenfisch, einem außergewöhnlich langen Tiefseefisch mit spitzen Zähnen, die schwarze Haut ab. Und zwar mit Orangennetzen. Der Rogen der Espadas landet später frittiert auf den Tellern, das weiche schneeweiße Fleisch wird mit Passionsfrucht oder Banane kombiniert. Klingt einigermaßen absurd, entspricht aber der Fauna und Flora Madeiras.

Info

Wandern und wohnen: Die Quinta dos Artistas der österreichischen Familie Dornfeld-Bretterbauer bietet zahlreiche Wanderprogramme.

Zum Wohnen: zwölf Apartments mit Meerblick.

Gut zu wissen: Gegessen wird an einem Gemeinschaftstisch zu fixer Zeit.

Infos auf quintadosartistas.com, Buchung über weltweitwandern.at

Märkte und Lokale: Sonntagsmarkt in Santo da Serra, Mercado dos Lavradores in Funchal.

Bodenständig: Restaurant O Moinho in Caniço.

Kreativer: 1811 Bistro & Wine Bar und, neu, Kampo, beide in Funchal.

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