Brexit: Hier gibt es nichts zu spotten, bitte weitergehen!

Nein, die britischen Parlamentarier sind nicht verrückt geworden, die Demokratie funktioniert eben so, und wir sollten uns daran gewöhnen.

Ein bisschen Galgenhumor, geschenkt, sei uns erlaubt – nach Wochen wie diesen, an denen wir Abende damit zugebracht haben, auf die Abstimmungen des britischen Unterhauses zu warten, immer abstruser fielen diese aus, immer weiter rückte eine Entscheidung in die Ferne, und dabei steht doch so viel auf dem Spiel, nicht nur Abermilliarden oder, um es mit der Bertelsmann-Stiftung kleinzurechnen, 83Euro pro Österreicher pro Jahr bei einem harten Brexit. Nein, da geht es außerdem um das Gleichgewicht Europas, das fein austarierte Spiel der Kräfte in dieser EU, um die Beziehungen des Festlands zur lang bewunderten Insel, da kann man schon verzagen und sich durch Gelächter Luft verschaffen, kurz.

Aber dann sollte man es auch gut sein lassen mit dem Spott, mit dem entnervt-belustigten Kopfschütteln, denn was da in Großbritannien zum Beispiel Mittwochabend wieder passiert ist, zeugt keineswegs von Wahnwitz, ist auch kein Ausdruck von Chaos. Das war zutiefst erwartbar und normal: In diesem Unterhaus sitzen Menschen, die den Brexit gar nicht wollen. Andere Menschen, die den Brexit wollen, aber nicht so. Und ein weiterer Teil findet, der May-Deal sei, wenn schon nicht der beste Deal, den Großbritannien haben kann, so zumindest okay. All diese Gruppen sind sich ihrerseits wiederum uneins über das weitere Vorgehen. Vom neuen Referendum bis zum ungeregelten Brexit reicht das Spektrum.

Was soll da denn bitte anderes herauskommen als „No. No. No. No. No. No. No. No“, wie die britische Zeitung „The Guardian“ süffisant titelte? Etwas anderes ist rechnerisch gar nicht möglich. Und: Glauben wir wirklich, irgendein anderes Parlament der Welt hätte „vernünftiger“ entschieden? Hätten wir Österreicher uns zum Beispiel besser geschlagen? Und was bedeutet dieses „vernünftig“? Für jeden etwas anderes, eben. Auf die Frage, welcher Weg zu wählen ist, kann man sich auch dann oft nicht einigen, wenn man prinzipiell der gleichen Meinung ist, man denke an die Flügelkämpfe der Parteien.

Und, wo wir gerade dabei sind: Hätten wir Österreicher eine „bessere“ Theresa May? Die Idee, dass das Versagen ganzer Systeme, oder auch nur deren Holpern, einzelnen Personen anzulasten sei, ist ja absurd, und am Beispiel der britischen Premierministerin sieht man das besonders deutlich. Da unternahm Theresa May die Quadratur des Kreises, oder, um es mit dem „Times“-Kolumnisten Hugo Rifkind zu sagen, sie versuchte, den Briten ein U-Boot aus Käse zu liefern, da man ihnen nun einmal ein U-Boot aus Käse versprochen hatte. May hat etwas herbeigeschafft, was einem Unterseeboot aus Käse so ähnlich ist wie möglich – und muss jetzt den Briten erklären, dass sie nichts Besseres kriegen. Wenn ihr das mit ihrem jüngsten Stunt doch noch gelingen sollte, wird sie als nervenstarke Verhandlerin in die Geschichte eingehen, die sich obendrein für ihre Überzeugungen geopfert hat. Wenn nicht, als Witzfigur. Der Grat ist schmal, sehr schmal, und wir sollten uns, bevor wir in kollektives Hohngelächter ausbrechen, dessen bewusst sein.

Was man daraus lernen kann? Dass man Fragen in komplexen Systemen nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten kann, zumindest nicht die großen, nicht die gewaltigen. Dass es keinen einfachen Weg gibt, zumindest solange es so unterschiedliche Überzeugungen gibt, nicht nur im britischen Unterhaus oder im österreichischen Parlament, sondern auch in der Bevölkerung hier wie dort und überall. Die parlamentarische Demokratie und ihre Strukturen sind komplex, sie gleichen unterschiedliche Interessen aus, integrieren diametral entgegengesetzte Weltanschauungen, deshalb sind diese Strukturen kompliziert, schwerfällig, für schnelle Entscheidungen und große Würfe nicht zu haben – und voller Widersprüche. Leicht kann man auf die Idee kommen, sie zu zerschlagen – aber Trümmer sind noch nichts Gutes, und eine neue Struktur aufzubauen ist mühsam und fordert Zeit. Was bedeutet: Wir sollten jenen nicht glauben, die uns ein U-Boot aus Käse versprechen. Wir sollten uns ein U-Boot aus Käse nicht einmal wünschen.

E-Mails an:bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2019)

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