1992: Herrn Flatzelsteiners Mordsgeschichte

Mary Vetsera am Cover des Buches.
Mary Vetsera am Cover des Buches. (c) Kral Verlag, Berndorf
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Als ein Linzer Möbelhändler die Leiche von Mary Vetsera stahl.

Helmut Reinmüller ist Polizeibeamter. Der Zufall wollte es, dass er 1992 im Wiener Sicherheitsbüro für „Kunstdiebstahl“ zuständig war. Am 21. Dezember wurde er zu einer mysteriösen Amtshandlung nach Heiligenkreuz (Niederösterreich) gerufen: Grabschändung! Aber warum ein Fachbeamter für Kunstdiebstahl? Bald sollte er aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Und mit ihm die Öffentlichkeit.

Denn tags darauf veranlasste er eine amtliche Gruftöffnung. Auch „Die Presse“ hatte davon Wind bekommen, und die Reporter starrten mit Fotografen und Polizisten in die Gruft – auf einen Prunksarg, der sich als leer herausstellte. Was war geschehen?

Der Möbelhändler Helmut Flatzelsteiner war seit Jahren brennend an der Tragödie von Mayerling interessiert. Also an der Frage, ob der habsburgische Erzherzog und Kronprinz Rudolf in der Nacht auf den 30. Jänner 1889 zunächst seine 17-jährige Geliebte Marie Alexandrine Freiin von Vetsera und danach sich selbst erschossen hatte.

Mary im Ford-Kastenwagen

Am 8. Juni 1991 öffnete er kurz entschlossen mit zwei burgenländischen Helfern die Gruft der in Heiligenkreuz bestatteten „Mary“, stahl den Leichnam, verfrachtete ihn in seinen Firmentransporter Ford Transit und versteckte ihn im Keller seines Linzer Möbelhauses. Unter einem Vorwand ließ er die Tote labormedizinisch untersuchen. Nun hatte Flatzelsteiner endlich, was er so sehnlichst wissen wollte: Nämlich die Bestätigung, dass das arme Mädchen einem Schuss in die Schläfe erlegen war.

Dann vertraute er sich dem Wiener Journalisten und Monarchie-Experten Georg Markus an. Es wurde, was die Zeitungsleute eine „Mordsgeschichte“ nennen. Die „Kronen Zeitung“ schloss einen Vertrag mit dem Grabräuber über (umgerechnet) 5800 Euro für die Spesen, und 7250 Euro als Entschädigung für das Stift Heiligenkreuz. Markus freilich erstattete gleichzeitig die Anzeige. So konnte die Polizei den Raub in einem Speditionszwischenlager in Meidling sicherstellen.

Die Sache nahm für alle Beteiligten ein glimpfliches Ende. Flatzelsteiner entging knapp einer Anzeige wegen Störung der Totenruhe, er musste aber dem Stift 2000 Euro bezahlen. Im März 2018 besuchte Reinmüller – inzwischen Oberst – den Übeltäter Flatzelsteiner in Linz. Es wurde ein sehr amikales Gespräch, dann übergab der 80-jährige Möbelhändler alle Gegenstände und Unterlagen, die er damals behalten hatte, an den Beamten: „Machen Sie damit, was Sie wollen, auch wenn Sie alles wegschmeißen, es wäre mir egal.“ Reinmüller freilich hat nichts weggeschmissen, sondern ein Buch gestaltet.

Zierliche Schuhe

Makabre Überbleibsel sind nun erstmals vierfarbig abgebildet: lange Haarsträhnen von der ermordeten Mary, ein Halswirbelknochen, Haarproben in einer Plastikbox, eine Locke mit Haarband, ein Wollband vom Strumpf, das Etikett von Marys Jacke. Die Schuhe (in schlechtem Zustand) enthielten Einlagen, um die Trägerin größer erscheinen zu lassen. Überraschend die Schuhgröße: 33/34.

Übrigens: Am 28. Oktober 1993 wurden die Gebeine unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem neuen Sarg beigesetzt und die Gruft mit Erde gefüllt, um einer neuerlichen Grabschändung vorzubeugen.

Zum Buch:

Helmut Reinmüller
Mary Vetsera.
Der Grabraub 1992
Kral Verlag, Berndorf
158 Seiten
24,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2019)

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