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Sing mir ein Lied auf den Turnschuh

Heute bejubeln Rapper ihre Sneakers, Parfums und haben eigene Modelinien.
Heute bejubeln Rapper ihre Sneakers, Parfums und haben eigene Modelinien.(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Rock 'n' Roll, Rap und Reklame: Die seltsame Allianz von Musik und Productplacement kennt seit Jahrzehnten viele Facetten. Früher schrieben Sänger Hymnen auf Coca Cola und Alka Seltzer. Heute bejubeln Rapper ihre Sneakers, Parfums und haben eigene Modelinien.

Frühling in New York. Nolita, was soviel wie North Of Little Italy heißt, liegt im Sonnenlicht. In der Lafayette Street steht eine Hundertschaft an Kreischkids. Sie sind seltsam geschlichtet. Kommt man näher, sieht man metallene Absperrungen und Securities.

Was ist hier los? Wird ein Filmstar erwartet? Geben berühmte Musiker eine Autogrammstunde? Nichts davon. Hier liegt das Headquarter von Supreme, einer aus der Skateboardszene hervorgegangenen Markenartikelfirma. Sie bedient sich einer Methodik, die auch die Musikindustrie nur zu gerne praktiziert: Der Limited Edition.

Künstliche Verknappung sorgt für gesteigerte Nachfrage. Die richtigen Textilien zu besitzen, ist in der Adoleszenz unverzichtbar. Da geht es um Feinheiten einer sozialen Distinktion, die Älteren nicht selten unerklärlich bleibt. Das Popmusikgenre, das dem Markenartikelfetischismus am intensivsten huldigt, ist Hiphop nach 2000.

Davor war dieses Genre durchaus politisch. Ostküsten-Hiphop wies starke intellektuelle Strömungen auf, während die Westcoast bevorzugt über Drogen, Sex und bewaffnete Auseinandersetzungen rappte. Während ein damals hoch geschätzter Polit-Rapper wie KRS-One heute praktisch unbekannt ist, hat sich der materialistisch-tribalistische Hiphop von Kalifornien aus zum Millionengeschäft gemausert. Er ist neben dem Sport und dem Drogenhandel die einzige Möglichkeit für schlecht gebildete Ghetto-Jugendliche, der sozialen Abwärtsspirale zu entkommen und ein Stück des amerikanischen Traums zu erhaschen.

Die Liebe zu Adidas Früh dran waren die New Yorker Run DMC. Ihre Nummer „My Adidas“, ein Lobgesang auf ihre Turnschuhe, war 1986 die erste Hiphop-Nummer, die ein Kleidungsstück ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. „My Adidas walk through concert doors and roam all over coliseum floors. I stepped on stage, at Live Aid, all the people gave an applaus that paid.” Zeilen, die eine innige Beziehung zum Produkt reflektierten.

Heutzutage wäre so etwas ein Zeitverlust. Da müssen innerhalb weniger Minuten möglichst viele Markennamen fallen. Die können zuweilen auch abgewertet werden. Wie in „One Thing“ von Rapper RIN, wo es heißt: „Gucci Brille, keine Ray Ban.“

Was wie eine willkürliche Wahl anmutet, bekommt Bedeutung für Dritte. Junger Hörer übernehmen solche austauschbaren Wertehaltungen recht rasch. Weil Hiphop schon in seinem frühen Stadium mit Dresscodes geliebäugelt hat, wurden zunächst Streetwear und Sportbekleidung reimtechnisch gehätschelt. Als die Umsätze stiegen, delirierten Hiphop-Krösuse wie Jay-Z dann über Textilien und Düfte aus dem Luxussegment.

Die Idee, dass die Inhalte der Raps „street“ (im Sinne von glaubwürdig) sein müssten, geriet jetzt aus dem Blick. Behängten sich die frühen, reich gewordenen Rapper mit schweren Goldketten, so war es jetzt wichtig, subtilere Formen von Luxus vorzustellen. Danach kam die Phase, als erfolgreiche Hiphop und R&B-Künstler damit begannen, eigene Modelinien zu lancieren. Da ging es gar nicht so sehr ums Geld. „My brands are an extension of me“, sagte Jay-Z dazu trefflich. Hiphop hat den Kult um Marken auf neue Gipfel getrieben.

Aber eingedrungen in die Welt der Popmusik sind sie früh. Im Rock ´n´ Roll wurde vorrangig Autos gehuldigt. Eine Tradition, die auch Bruce Springsteen aufgegriffen hat. In den Sechzigerjahren erkannte Coca Cola die Attraktivität des von Teenagern dominierten Musikmarkts. Die Firma gab musikalische Zuckersaft-Huldigungen in Auftrag. Der sonst in seinen Liedern exklusiv dem Liebeskummer zugeneigte Balladensänger Roy Orbison schwärmte 1966 auf der Single „Things Go Better With Coca Cola“ von der beseligenden Wirkung des Getränks. Auch von Soulqueen Aretha Franklin gibt es eine Coca-Cola-Single. Zu den Kuriosita der Siebzigerjahre zählt Sammy Davis Jr.´s „Alka Seltzer Song“. Mittlerweile zählt es zum Standard, verstaubte Markenimages mit Coolness aus der bunten Welt der Musik aufzupeppen. Das passiert heutzutage zumeist anonym, weil es imageschädigend sein kann. Der Berliner Rapper Dra-Q hat diese bittere Erfahrung gemacht. Als herauskam, dass er für die „Ich liebe es“-Kampagne von McDonalds rappte, war es vorbei. Rapvertising, wie die innige Verschränkung von Musik und Produkt von Insidern genannt wird, kann tatsächlich Karrieren zerstören.

FAKTEN

Run DMC war früh dran. Die New Yorker Hiphop-Band schrieb 1986 mit ihrer Nummer „My Adidas“ einen Lobgesang auf ihre Turnschuhe. Es war die erste Hiphop-Nummer, die ein Kleidungsstück ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. „My Adidas walk through concert doors and roam all over coliseum floors. I stepped on stage, at Live Aid, all the people gave an applaus that paid.“ Zeilen, die eine innige Beziehung zum Produkt reflektierten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2019)

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