Die wahre Story von „Bonnie und Clyde“?

Der linke Kultfilm „Bonnie und Clyde“ hat jetzt seinen konservativen Gegenentwurf: „The Highwaymen“.

Revisionismus heißt übersetzt zunächst einfach wieder hinsehen. Ein erneuter Blick aus anderer Perspektive soll eine als bisher anerkannt geltende Meinung ergänzen, infrage stellen oder ersetzen.

Revisionistisch in diesem Sinn ist die Netflix-Produktion „The Highwaymen“ von John Lee Hancock (bekannt etwa als Regisseur von „Blind Side“). Der Crime-Road-Film handelt von zwei Rangern in Texas: Frank Hamer wird von Kevin Costner als selbstgerechter Mannskerl gespielt, Maney Gault von Woody Harrelson als sein abgehalfteter Sidekick. Die beiden historischen Figuren führten einst jene berüchtigte Polizeieinheit an, die das Gangsterpärchen Bonnie Parker und Clyde Barrow im Mai 1934 aus dem Hinterhalt mit 167 Kugeln niederschoss.

Dieser Crime-Road-Film lässt sich als konservativer Gegenentwurf zum linken Kultfilm von 1967 sehen, in dem Warren Beatty und Faye Dunaway mit viel Sex-Appeal das bereits zu ihren Lebzeiten von der Arbeiterklasse gefeierte Outlaw-Duo verkörperten.

In „Highwaymen“ hingegen sind die Figuren wenig präsent, es dominieren die Spuren, Leichen und Schlagzeilen, die sie auf ihrer Amoktour durch den Mittleren Westen der USA hinterlassen. Sonst liegt der Fokus auf ihren mürrischen Verfolgern, die das von der Wirtschaftsdepression betroffene Hinterland nach den Kriminellen absuchen.

Netflix, erstaunlich vorgestrig

Nicht nur moralisch und politisch, sondern auch ästhetisch ist die Netflix-Produktion erstaunlich vorgestrig geraten. Auf den formalen Wagemut aus „Bonnie und Clyde“, dem Gründungswerk des New-Hollywood-Kinos, wird ebenso verzichtet wie auf die postmoderne Ironie, die man aus den zitatewütigen Genre-Reminiszenzen der Coens oder von Tarantino kennt. Letztlich fühlt sich „The Highwaymen“ sogar noch rückständiger an, als es das klassische US-Erzählkino vor der gegenkulturellen Wende in den 1960er-Jahren war.

Über den monotonen Plot wiederum lässt sich kaum mehr sagen, als dass sich Frank und Maney von einer Stadt zur nächsten fortbewegen und währenddessen auf Komplizen, Angehörige und Fans ihrer Zielpersonen treffen. Costner und Harrelson bei ihrem minimalistischen Schauspiel zuzuschauen bereitet anfangs noch Freude – bis man irgendwann feststellt, dass dieser Stil bloß dazu dient, den mangelnden psychologischen Tiefgang ihrer Figuren zu kaschieren.

Ein verschwiegener Stoiker, dem nie Zweifel an seinen menschenrechtswidrigen Methoden kommen, und ein lethargischer Alkoholiker, dessen leise geäußerte Bedenken gerade noch verhindern, dass man den Film als Law-and-Order-Propaganda der republikanischen Partei wahrnimmt: Hier fehlt zwangsläufig das Entwicklungspotenzial, das für ein spannendes Charakterdrama nötig gewesen wäre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2019)

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