Erdogan verliert seine Hauptstadt

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Bei der Kommunalwahl geht es auch um die politische Zukunft der Regierungspartei. Zentral war das Ergebnis in Ankara und Istanbul – dort zeichnete sich ein knappes Rennen ab.

Die Hälfte der Stimmen waren ausgezählt, da hat sich ein Sieg von Recep Gürkan bereits abgezeichnet. Am Vormittag hatte sich der Kandidat der sozialdemokratischen CHP in der westtürkischen Stadt Edirne vor der Stimmabgabe betont entspannt und redselig gezeigt, war ihm doch trotz „Hässlichkeiten“ im Wahlkampf, wie er sagte, der Sieg irgendwie sicher. Die Provinzen im europäischen Teil der Türkei gelten als stabiles CHP-Gebiet – neben einiger Provinzen an der Agäisküste die letzten verbliebenen Bastionen von Atatürks Partei.

Bei der am Sonntag abgehaltenen Kommunalwahl war die CHP zumindest im anatolischen Herzland für die regierenden AKP keine wirkliche Gefahr, aber in den Großstädten Istanbul und Ankara ließen ihre Kandidaten die Partei des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schwitzen. „Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei“, lautet die Parole in der politischen Türkei, und für den Werdegang Erdogans gilt der Satz mehr als für jeden anderen Politiker, hat er doch hier seinen Aufstieg begonnen. Doch beim Referendum zur Einführung der Präsidialrepublik vor zwei Jahren hat ihn seine Geburtsstadt schwer enttäuscht: Die Mehrheit war gegen die Pläne der AKP. So schickte Erdogan Ex-Premier Binali Yildirim für Istanbul ins Rennen; einem Unbekannten sollte dieses heikle Terrain nicht überlassen werden. Sein Gegenkandidat ist Ekrem Imamoglu von der CHP, und den ersten Ergebnissen zufolge unterlag er knapp Yildirim.

Knappes Rennen in Ankara

Ankara war da viel knapper, bei der Hälfte der ausgezählten Stimmen führte der CHP-Kandidat Mansur Yavas um weniger als ein Prozent vor Erdogans Kandidaten Mehmet Özhaseki. Auch er war unter Erdogan Minister, sein Verlust würde die Partei empfindlich treffen, regiert sie doch die Hauptstadt seit mehr als einem Jahrzehnt. Wiewohl: In Erinnerung bleibt die Episode von der Kommunalwahl 2014, als Yavas wiederum vorne lag, aber ein plötzlicher Stromausfall in die Stimmauszählung „geriet“. Eine Überraschung könnte die Großstadt Adana erleben, dort führte bis zuletzt CHP-Kandidat Zeydan Karalar vor dem ultranationalistischen Amtsinhaber. Von der AKP hingegen könnte in Antalya der CHP-Kandidat das Oberbürgermeisteramt in Antalya erobern.

Viel schwieriger ist die Lage im Südosten des Landes. Dort ist die prokurdische und von der Regierung schwer gedrosselte Partei HDP der Platzhirsch. Nach dem gescheiterten Putsch machte die AKP Tabula Rasa in der Region und ließ Dutzende Bürgermeister und Provinzgouverneure der HDP absetzen – Verhaftungen gab wenige Tage vor der Wahl noch. Der allgemeine Vorwurf  lautet: „Terrornähe zur PKK“. Seither werden die Provinzen zwangsverwaltet. Während des Wahlkampfes gab Erdogan auch vorsorglich bekannt, dass er etwaige HDP-Gewinner nicht anerkennen werde. Die Stimmung im Südosten war am Sonntag aufgeladen: Medien zufolge kam es in Malatya zu einer Schießerei mit zwei Toten, in Mardin und Diyarbakir zu Schlägereien.

In der Kurdenmetropole Diyarbakir zeigte sich am frühen Abend auch ein eindeutiger Sieg des HDP-Kandidaten ab, so auch in Mardin. Vor einer neuerlichen Zwangsverwaltung hätte Erdogan bestimmt keine Scheu; doch führte die AKP auch tatsächlich in einigen wenigen Kurdenprovinzen.

Stabil bleibt die AKP in also ihrem Herzland, diesmal jedoch mit Verlusten an die Sozialdemokraten und Ultranationalisten. Beim Wahlkampf hatten die Parteien wie gewohnt alle Geschütze aufgefahren, manche Zeitungskommentatoren schreiben gar vom schmutzigsten Wahlkampf der letzten Jahre – was die Nervosität im AKP-Lager besonders deutlich zeige. Die jüngste Finanzkrise macht der Bevölkerung schwer zu schaffen, so hat Erdogan den Sieg zur Chefsache gemacht. Mehrere Auftritte pro Tag waren normal. Relativ neu ist in der jüngeren Türkei der Wahlkampf sogenannter Allianzen: Auf der einen Seite kämpft die “Volksallianz” zwischen der AKP und der rechtsextremen MHP um die politische Vormachtstellung. Auf der anderen Seite steht das kuriose “Bündnis der Nation” zwischen den Sozialdemokraten und der nationalistischen und neuen Partei IYI. Beide Allianzen sparen die HDP aus, wollen sich mit der Kurdenfrage nicht die Finger verbrennen.

Nach den ersten Ergebnissen führte die “Volksallianz” insgesamt um mehr als 52 Prozent. Auf das “Bündnis” fielen 37 Prozent, davon kann die CHP 30 Prozent für sich verbuchen. Es ist seit Langem wieder ein halbwegs gutes Ergebnis für die Oppositionspartei.

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