Niklas Luhmann reloaded

Warum Vereinfachungen bei Genehmigungsverfahren nicht gleich den Rechtsstaat gefährden.

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Wir schreiben das Jahr 2019: In den vergangenen Wochen gab es Bewegung bei wichtigen Infrastrukturprojekten. Der Flughafen Wien konnte nach zwölf (!) Jahren das Genehmigungsverfahren für die dritte Piste vor dem VwGH erfolgreich abschließen. Das ist wichtig für den Standort, dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Denn in den zwölf Jahren sind die Vorbereitungen und ein umfassendes Mediationsverfahren noch gar nicht eingerechnet, all das hat bereits 1999 gestartet. Und die Projektgegner wollen die Entscheidung des österreichischen Höchstgerichts nun via EU-Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren bekämpfen. Echte Rechtssicherheit sieht anders aus!

Anderer Schauplatz, gleiches Grundthema: Im Februar hat Österreich das Versteigerungsverfahren für die 5G-Lizenzen durchgeführt und ist damit innerhalb der EU in der Spitzengruppe, noch vor Deutschland. Doch nun kommen die Mühen der Ebene mit jahrelangen Genehmigungsverfahren für den Ausbau bzw. die Aufrüstung der Funkmasten. Um das zu beschleunigen, hat sich nun eine Allianz aus Telekom Austria, ÖBB, Asfinag und BIG gebildet. Diese Unternehmen wollen Abläufe standardisieren und eigene Flächen nutzen. Das ist eine positive Initiative, aber auch eine Art Selbsthilfe.

Man muss kein großer Wirtschaftsversteher sein, um zu erkennen: In einer sich schnell bewegenden globalen Wirtschaft gefährden solche Monsterverfahren jeglichen Wettbewerbsvorteil. Abgesehen davon zerstören sie die so wichtige Investitionssicherheit.

Verfahren und Legitimation

Wir schreiben das Jahr 1969: In diesem Jahr veröffentlichte der prominente deutsche Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann ein Buch, das in den kommenden Jahren sehr einflussreich wird: „Legitimation durch Verfahren“. Die Grundidee: Entscheidungsfindungsverfahren wie Verwaltungs- und Gerichtsverfahren können sich nicht an Wahrheit im naturwissenschaftlichen Sinne orientieren. Die notwendige Legitimität im Sinne der Akzeptanz durch die Betroffenen müsse daher durch entsprechende Verfahrensregeln sichergestellt werden.

Obwohl Luhmann seine Theorie stark auf Gerichtsverfahren bezogen hat, wurde er zu einem der geistigen Väter vieler Entwicklungen im Verwaltungsrecht wie Bürgerbeteiligung, Mediation, Schiedsverfahren etc. Diese Mechanismen haben sich in den folgenden Jahrzehnten massiv verbreitet und liegen auch dem österreichischen Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz zugrunde.

All das waren wichtige Entwicklungen, doch in den vergangenen 50 Jahren hat sich viel getan. Vor allem Onlinemedien und soziale Netzwerke ermöglichen es der Bevölkerung, sich umfassend über Projekte zu informieren, gleichzeitig können Projektgegner schnell und mit geringen Kosten ihre Standpunkte verbreiten und verteidigen.

Neue Form der Legitimation

Diese dramatischen Veränderungen führen zu einer zusätzlichen Quelle der Legitimation: einer nie da gewesenen Publizität. Diese ermöglicht den vernünftigen Rückbau so mancher überbordender Verfahrensregeln. Vielleicht hilft dieser Gedanke auch den Kritikern des Standort-Entwicklungsgesetzes, das bei besonders wichtigen Infrastrukturprojekten verfahrensbeschleunigende Maßnahmen vorsieht.

Dadurch wird der Rechtsstaat in keiner Weise gefährdet, es ist jedoch ein wichtiger Schritt zur Absicherung des Wirtschaftsstandorts Österreich.

Und zur Beruhigung: Im Jahr 2019 kann niemand ein Großprojekt heimlich durchboxen.

Markus Fallenböck ist Jurist und aktuell Gesellschafter des österreichischen Fintech Own Austria.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2019)

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