Türkei: Verluste für Erdogans AKP in großen Städten

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Die Kommunalwahl endet mit einer Blamage für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Seine Partei AKP verliert wichtige Städte wie Ankara, Antalya und Istanbul an die Opposition.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat bei der Kommunalwahl eine empfindliche Schlappe erlitten. Seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP blieb zwar mit landesweit rund 44 Prozent aller Stimmen stärkste Kraft - sie hat jedoch Gebiete im AKP-Herzland Anatolien sowie wichtige Großstädte an die Opposition verloren.

Am Montag, dem Tag nach der Wahl, gab es weiter nur vorläufige Ergebnisse. Denen zufolge watschten die Wähler Erdogans AKP nicht nur in der Hauptstadt Ankara ab, sondern auch in der Tourismus-Hochburg Antalya - und sogar in der größten Stadt des Landes, in Istanbul.

Die Wirtschaftsmetropole wurde nach einem atemberaubend knappen Rennen am Mittag sogar von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu der Opposition zugeschlagen. Auf der Grafik, die die Ergebnisse in Gelb für die AKP und in Rot für die Mitte-Links-Oppositionspartei CHP anzeigte, färbte sich die Großstadtprovinz von gelb zu rot ein. Da waren 99 Prozent aller Stimmen ausgezählt.

Drei Tage Zeit für Beschwerden

Der Bürgermeisterkandidat der CHP, Ekrem Imamoglu, lag um Haaresbreite mit 48,79 der Stimmen zu 48,51 Prozent der Stimmen vor dem AKP-Kandidaten, Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim. Der warnte allerdings in einer Pressekonferenz am Nachmittag, dass die Zählung noch nicht abgeschlossen sei. 13 Wahlurnen seien noch übrig. Sein Kontrahent habe zwar etwa 25.000 Stimmen mehr als er - "es gab aber viele ungültige Stimmen, die können das Ergebnis sehr verändern", sagte Yildirim.

Schnelle Ergebnisse sind in diesem erbitterten Kampf um jede Stimme nicht zu erwarten. Beide Parteien hätten nun drei Tage Zeit, um Beschwerden einzulegen, sagte der Chef der Wahlbehörde YSK, Sadi Güven. Weil der Vorsprung für die CHP so mager ist, könnten für ungültig erklärte Stimmen das Verhältnis zwischen Gewinner und Verlierer noch umdrehen, warnten Experten wie der Türkei-Experte Michael Sercan Daventry vom Analyseblog "James in Turkey".

Endgültige Ergebnisse könnte es möglicherweise erst in zehn Tagen geben. Der Generalsekretär der AKP, Fatih Sahin, kündigte an, dass man auch in Ankara Einspruch einlegen werde.

Auch wenn Erdogan sein Ziel, die Macht in den Großstädten zu erhalten, trotz eines sehr intensiv geführten Wahlkampfes nicht erreicht hat, bleibt doch seine AK-Partei weiterhin die stärkste Kraft im Land, erinnerte Gülistan Gürbey, Politikwissenschafterin an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit der APA. Von einem richtigen Denkzettel will Gürbey deshalb nicht sprechen.

Die Blamage für Erdogan ist dennoch erheblich. Der Türkei-Experte Wolf Piccoli von der Firma Teneo schrieb in einer Analyse, dass nach den Teilergebnissen Oppositionsparteien sieben der zwölf größten Städte der Türkei gewonnen haben, darunter Adana, Eskisehir und Diyarbakir. Die Großstadt Bursa hielt die AKP nur knapp. In kurdischen Gebieten hingegen gewann sie dazu. Wie bei vergangenen Wahlen dominierte Erdogans Partei weiter in Zentralanatolien, wenngleich sie dort auch Stimmen verloren zu haben schien.

dfdf

Die SPÖ zeigte sich erfreut über das Ergebnis und gratulierte den CHP-Kandidaten. Deren Sieg sei ein "wichtiges Signal der Hoffnung für eine demokratischere Türkei". Nach Ansicht des SPÖ-EU-Abgeordneten Josef Weidenholzer bekommt das "System Erdogan" Risse. Zudem betonte er: "Faire und freie Wahlen sehen definitiv anders aus als die gestrigen Kommunalwahlen." Ähnlich äußerten sich die Grünen in Deutschland.

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir deutete das Ergebnis so: Der "absolute Machtanspruch" von Erdogan gerate ins Wanken, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Die Wahlerfolge für die Opposition in Ankara und Istanbul könnten der Anfang vom Ende der Erdogan-Ära sein." Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, wiederum sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Dienstag), Erdogan müsse jetzt mit oppositionellen Bürgermeistern arbeiten. Das sei eine Chance für die Türkei, in einen neuen Dialog einzusteigen.

Rund 57 Millionen Türken waren am Sonntag aufgerufen, in 81 Provinzen Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Erdogan selbst hatte die Wahl zu einem Referendum über seine Regierung gemacht. Obwohl er gar nicht zur Wahl stand, hatte er fast jeden Tag gleich mehrere Wahlkampfauftritte hingelegt und war durchs halbe Land gereist. Die Wahl hatte er mit äußerst aggressiver Rhetorik gegen die Opposition hochstilisiert zu einem Kampf um Fortbestand oder Niedergang der Nation.

Die Wähler waren aber wohl weniger besorgt über den drohenden Untergang der Türkei als über den Inhalt ihrer Geldbörsen: Die Türkei steckt in der Rezession. Die Lira hat massiv an Wert verloren, die Zahl der Arbeitslosen stieg innerhalb eines Jahres um rund eine Million und die Teuerungsrate um rund 20 Prozent. Lebensmittel wurden besonders teuer. Hier vermuten Experten den Hauptgrund für die Verluste der AKP.

In der Nacht auf Montag hatte Erdogan in einer Rede in Ankara vor Tausenden jubelnden Anhängern seine Partei zum Gewinner der Partei erklärt. Ungewohnt selbstkritisch sagte er aber auch: "Wir müssen akzeptieren, dass wir da, wo wir gewonnen haben, die Herzen unseres Volkes erobert haben, und da, wo wir verloren haben, nicht erfolgreich genug waren." Andererseits muss er sich nach sieben Wahlen in fünf Jahren nun bis 2023 keiner Abstimmung mehr stellen.

(APA/dpa)

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