„Uncle Joe“ hat eine #Metoo-Debatte am Hals

Joe Biden, Barack Obamas Vizepräsident.
Joe Biden, Barack Obamas Vizepräsident. (c) REUTERS (Jonathan Ernst)
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Ex-Vizepräsident Joe Biden ist mit Vorwürfen konfrontiert, sich Frauen ungebührlich genähert zu haben.

Wien/Washington. Noch hat Joe Biden seine Präsidentschaftskandidatur nicht offiziell erklärt, obwohl sie zu 99 Prozent sicher sei und der Ex-Vizepräsident noch im April damit an die Öffentlichkeit gehen wolle, wie es heißt. Doch schon muss sich der 76-Jährige mit einer Affäre herumschlagen, die der #Metoo-Debatte in den USA entspringt. Zwei demokratische Parteifreundinnen werfen Biden jetzt vor, die „Grenze des Respekts“ überschritten zu haben.

Die Beschuldigungen liegen Jahre zurück. 2009 soll Barack Obamas Vizepräsident Amy Lappos, eine damals 33-jährige demokratische Mitarbeiterin, bei einer Spendenveranstaltung in Connecticut zu sich gezogen, die Hände um ihren Hals gelegt haben und so nah gekommen sein, dass Nase an Nase stieß. „Ich dachte, er würde mich auf den Mund küssen. Das ist Sexismus oder Frauenfeindlichkeit.“ Sie stützt die Episode, die zuvor Lucy Flores publik gemacht hatte. Er habe 2014 der 32-Jährigen bei einer Wahlkampfkundgebung in Nevada die Arme auf die Schultern gelegt, an den Haaren geschnuppert und sie auf den Hinterkopf geküsst, erinnerte sie sich in einem Artikel. „Ich war wie versteinert.“

Als Entlastungszeugin für Biden warf sich indessen Stephanie Carter, Frau des Ex-Verteidigungsministers Ashton Carter, in die Bresche. Das Foto von der Vereidigung ihres Mannes im Weißen Haus sorgte 2015 für Aufsehen – als „creepy“, als gruslige Szene. Wieder legte Biden der Frau die Hände auf die Schultern und beugte sich vor – um ihr die Nervosität zu nehmen und die Situation zu entkrampfen, wie Carter suggeriert.

Wer „Uncle Joe“ kennt, weiß, dass Biden ein Nahkämpfer alten Typus ist: jovial, emotional, warmherzig, überschwänglich, rührend bis rührselig, nostalgisch, stolz auf seine irische Abstimmung und seine Herkunft aus der Arbeiterklasse, der Sympathie und Zuneigung auf vielfältige Weise demonstriert.

In der Vorbereitung seines Wahlkampfs hatte Joe Biden mit vielem gerechnet, mit Attacken Donald Trumps und seiner eigenen Rolle als Ausschussvorsitzender beim Senatshearing für die Nominierung des Richters Clarence Thomas für den Obersten Gerichtshof 1991 – am wenigsten wohl aber mit seinem Umgang mit Frauen. Die Juristin Anita Hill hatte Thomas sexuelle Belästigung vorgeworfen. Biden bedauerte nun, dass er Hill nicht ernst genug genommen habe.

Er erwog sogar, mit der afroamerikanischen Südstaaten-Politikerin Stacey Abrams als Vizepräsidentschaftskandidatin in den Vorwahlkampf zu ziehen – ein außergewöhnlicher Schritt, der die Kritik am alten, weißen Establishment-Kandidaten entkräften sollte. Abrams lehnte aber ab.

Das Timing der Vorwürfe kommt Joe Biden sehr ungelegen. Er gilt als deklarierter Favorit im Bewerberfeld der Demokraten, das so groß ist wie nie zuvor. In den Umfragen liegt er in Staaten wie Iowa an erster Stelle. Lange hatte er mit sich gerungen, ob er überhaupt antreten sollte – bis seine Familie ihr Okay gab. Jetzt legt der Frontrunner womöglich einen Fehlstart hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2019)

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